Populaermusik Aus Vittula
einem der kinderreichsten Viertel war man Bandenherausforderungen gewohnt. Da hieß es nur, sich zur Verfügung zu stellen. Es konnte sich dabei um prestigevolle Rasenhockeyspiele an Winterabenden auf den Straßen der Stadt handeln. Dazu fand man sich an den hellsten Flecken unter einer Straßenlaterne ein. Die Schneeklumpen als Torpfosten, die Schneewälle als Bande, Links- oder Rechtsschläger, die man im Eisenwarengeschäft gekauft oder vom großen Bruder geliehen hatte, ein Tennisball oder ein zerfetzter Puck, kein Schutz, kein
Schiedsrichter, aber zehn, fünfzehn Rotzbengel mit dem unerhörten Willen zu siegen.
Bis zum 2:2 ging es so einigermaßen. Eifriges Forechecking, halsbrecherische Solodurchbrüche, die Andeutung eines Passspiels, aber öfter allgemeine Rauferei und anschließend die verbissene Suche nach dem Puck im Schnee. Einige waren Uffe Sterner oder Stisse oder Lillprosten. Oder Phil Esposito, der im kanadischen Fernsehen ein Loch in eine Metallplatte geschossen hatte.
Und da sehen wir den ersten Lippenriss. Ein Mittelstürmer mit zu langem Schläger, sodass der Schaft, der hinten rausragt, einem anderen ins Maul stößt. Die Milchzähne sind noch da, dafür aber viel Blut. Nach einer dramatischen Abstimmung Auszeit.
Dann ein hässliches Foul, ohne jede Tarnung. Ein Schubsen in den Schnee. Unmittelbar gefolgt von einem Racherempeln. Angespannte Diskussionen. Ein Torschuss, der für ungültig erklärt wird, weil jemand den Pfosten verschoben hat. Proteste. Gegenklagen. Schläger in den Sack. Ein Junge heult. Straf-schlag, erneutes Knuffen. Hätte um Haaresbreite mein Gesicht verloren. Ellenbogenrempeln. Ein Stoß in den Schneewall. Bein stellen. Gezeter.
Und dann liegen plötzlich zehn Jungs im Schneewall und prügeln sich und schreien sich an, den Mund voller Schnee, während ein einsamer Junge am anderen Tor den Puck über die Linie hin und her schiebt, sodass man hundert zu drei gewinnt, bevor er allein die schneefunkelnde Winterstraße entlang nach Hause trottet.
Eine andere Bandenbeschäftigung war das Maifeuersammeln. Es begann gleich nach Silvester, wenn die Weihnachtsbäume hinausgeworfen wurden. Plötzlich war die Stadt voller kleiner Jungs mit sperrigen Kiefernstapeln auf ihren Tretschlitten. Der
Wettbewerb fand in erster Linie zwischen Paskajänkkä und Strandvägen statt, da beide Viertel am Fluss lagen, wo man so große Feuer, wie man nur wollte, machen konnte. Das war nämlich das Ziel. Das größte zu haben.
Auf die Tannenskelette wurde eigentlich so ziemlich alles gestapelt, was brennbar war. Leere Kartons aus den Geschäften, Bauholz, Autoreifen, Plastikeimer, Möbel, Milchkartons, abgebrochene Skier, Hartfaserplatten, Schuhe, ja sogar Schulbücher. Hin und wieder wurden Spione zum Nachbarhaufen geschickt, um zu berichten und zu vergleichen.
Es kam vor, dass man von den Haufen der anderen klaute.
Es kamen auch Gewalttätigkeiten vor, aber nicht so oft wie bei den Rasenhockeyspielen. Eher wurden hier versteckte Drohungen, Sturheit oder List eingesetzt.
Man konnte beispielsweise den Scheiterhaufen höher aussehen lassen, wenn man ihn geschickt stapelte. Das konnte im Extremfall zu mörderischen Scheiterhaufen führen, die wie schwankende Wolkenkratzer zusammenfallen und die nächststehenden zwanzig Zuschauer verbrennen konnten. Unverständige Erwachsene brachten derartige Stapel aber meistens vor dem Entzünden zum Einsturz.
Es kam auch vor, dass einige Jungs einer Bande, die hoffnungslos unterlegen war, den Konkurrenzhaufen ein paar Tage vor der Valborgmesse am 13. April in Brand steckten. Aber das war so gemein, dass das Siegerfeuer keinerlei Sympathien mehr hatte.
Dann stand man endlich im Schnee um die brennenden Müllberge herum, warf Knallkörper und sah die Arbeit von Monaten in Rauch aufgehen. Das war die Belohnung. Plus die beiden Raketen, die sich die Bande zusammengekratzt hatte und die am Ende, wenn der Himmel so dunkel wie möglich geworden war, abgefeuert wurden. Sie stiegen wie glühende Blumenstängel auf und breiteten sich jeweils in einer glitzernden Traube aus. Und das war der Frühling. Nun war er endlich gekommen.
Wenn man etwas älter war, war es absolut cool, ein Luftgewehr zu haben. Mehrere Monate lang musste ich betteln, bis mein Vater mir eine Büchse kaufte, gebraucht und zerkratzt. Sie war so undicht, dass der Pony sich hob, wenn man schoss, und der Diabolo mochte kaum den Lauf verlassen. Aber mit Isolierband und nachdem ich die Feder
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