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Port Vila Blues

Port Vila Blues

Titel: Port Vila Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
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Die anderen Passagiere gehen bereits an Bord.«
    Wyatt sah auf seine Armbanduhr, dann auf die Uhr an der Wand hinter Nicole. Der Zeitunterschied betrug zwanzig Minuten, was bedeutete, dass seine Uhr nachging.
    Nicole war ganz Lächeln. »Die Batterie?«
    »Sieht so aus«, meinte Wyatt.
    Ein Fehler, den er sich nicht erlauben konnte. Aber auch ein Fehler, den er normalerweise nicht in Betracht zog. Er gab Nicole das Ticket und beobachtete, wie ihre Finger über die Computertastatur glitten. Island Air flog zweimal am Tag nach King Island, um 11 Uhr 30 und um 15 Uhr 30. Er hatte den Flug um 11 Uhr 30 gebucht, um im direkten Anschluss mit TasAir von King Island nach Wynyard zu fliegen. Es war ein langer Heimweg, teuer und ermüdend, doch Wyatt vermied es nach Möglichkeit, sich in den Abflughallen großer Flughäfen zu zeigen. In Wynyard stand ein Wagen bereit. Von dort bis zu der Wohnung, die er in Hobart gemietet hatte, dauerte die Fahrt drei bis vier Stunden.
    Nicoles Lächeln war eine breite Fuge weißer Zähne. Auf den Tresen des Schalters gestützt, wies Nicole auf eine Doppeltür aus Glas an der Seite des Terminals. »Dort hindurch, Mr. White.«
    Auf der King-Island-Route setzte Island Air zweimotorige Chieftains mit zehn Sitzplätzen ein. Der Flug dauerte fünfzig Minuten; Wyatt kümmerte sich nicht um die anderen Fluggäste, er las etwas über die Magnetbohrerbande und deren Einbruch in eine Bank außerhalb Melbournes, irgendwo in der oberen Yarra-Region. Age war die Nachricht knapp drei Sätze wert, der zur Hysterie neigenden Polizeireporterin der Herald Sun immerhin zehn. Sie schloss ihre Story mit einem Zitat des berühmten Mannes auf der Straße ab: »Das gibt einem wirklich zu denken.« Wenn das der Maßstab für das Denkvermögen des durchschnittlichen Australiers ist, dachte Wyatt, dann haben sie verdient, was sie bekommen.
    Im Wasser unter ihm schwamm King Island, grün und hügelig, überzogen mit dem unregelmäßig geknüpften Muster aus Höfen der Milchbauern und der sie verbindenden schmalen Landstraßen. 12 Uhr 20 landete die Chieftain, zehn Minuten später war Wyatt an Bord einer fünfzehnsitzigen Heron. Man servierte ihm Sandwiches und Kaffee, doch der erste, zögerliche Biss in das Sandwich ließ seinen Zahn rebellieren und der erste kleine Schluck Kaffee machte die Sache noch schlimmer. Er schluckte zwei Paracetamol und schloss die Augen, das schmale Gesicht vor Anstrengung und Erschöpfung verzerrt.
    Er wurde erst wieder wach, als die Heron in Wynyard aufsetzte, und fühlte sich leicht benommen. Auf seiner Fahrt Richtung Süden ging ihm Jardine durch den Kopf und er schätzte, dass ihm vielleicht noch zwölf Monate mit Jardine blieben. Nicht dass es Streit zwischen ihnen gäbe oder man sie erwischte — Jardine würde einfach keine guten Coups mehr auf Lager haben. Und dann? Wyatt sah weit und breit keine Möglichkeiten für große Fischzüge, er konnte sich nicht vorstellen, für Organisationen wie das Sydney-Syndikat Auftragsarbeiten zu erledigen, er konnte sich nicht vorstellen, wieder Teams mit ihm unbekannten Leuten zusammenzustellen. Die Zeit der alten Methoden war vorbei, alles deutete darauf hin. Männer wie er — professionell und akribisch arbeitende Einzelgänger — waren in einer Welt, die Spontaneität und Großspurigkeit anheim gegeben wurde, ein Anachronismus.
    Es stand eine Menge auf dem Spiel. Vor zehn, fünfzehn Jahren hatte er problemlos mehrere Coups pro Jahr durchgezogen, hatte von den Einnahmen leben und Wochen, sogar Monate an Orten verbringen können, wo ihn kein Mensch kannte. Er brauchte einen sicheren Hafen, einen Ort, wo er ein Niemand war und nicht auffiel, einen Ort, wo er sich zwischen den Jobs zurückziehen konnte. Diesen Ort hatte es gegeben, ein komfortables altes Farmhaus mit fünfzig Hektar Land an der Küste Victorias, südöstlich von Melbourne, erworben mit den Einnahmen aus einem Goldraub am Flughafen Melbourne. Von seinen Fenstern aus hatte er über das Meer und hinüber nach Phillip Island geblickt; hier zu leben hatte für Wyatt das Ausruhen von der Hetzjagd bedeutet.
    Dann war alles wie ein Kartenhaus zusammengefallen und er hatte ein Leben voller Fehler und Verrat führen müssen, ständig auf der Hut vor dem Mann mit dem Messer, der Kanone oder der Dienstmarke in der Hand. Drei Jahre lang hatte er sich bis an seine Grenzen als Gejagter gefühlt. Doch jetzt war die Chance da, die Dinge zurückzugewinnen, die er verloren hatte, die Fäden in der

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