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Port Vila Blues

Port Vila Blues

Titel: Port Vila Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
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keine indischen Gesichter; keine Schwarzen und keine Ureinwohner der pazifischen Inseln. Das hier war eine monochrome Stadt.
    Er sah viele junge Männer, die Bärte, Jeans und Stiefel trugen und karierte Hemden in Rot, Blau oder Grün, und er vermutete, dass jeder von ihnen ganz in der Nähe einen Wagen mit Vierradantrieb oder einen Geländewagen abgestellt hatte. Und es gab noch eine andere Kategorie Männer, die mit dem Stempel des Geldadels und langer Familientradition. Selbstbewusst gingen sie die Straßen entlang, spröde und unnahbar, Väter und Söhne mit aufrechtem Gang und in teurem englischem Tweed, umgeben von einer Aura der Anmaßung. Außer in den Straßen von Hobart hätten sie überall deplatziert und unzeitgemäß gewirkt.
    Vor allem aber strahlte die Stadt Wohlbefinden und Selbstvertrauen aus. Wahrscheinlich war das der springende Punkt: Jedermann hier wusste, wohin er gehörte, mit Ausnahme der Kids im Einkaufszentrum.
    Wyatt setzte seinen Weg fort. Die Zahnklinik lag in einer schmalen Seitenstraße der Elizabeth Street. Er war fünf Minuten vor dem Termin dort und musste zwanzig Minuten warten. Um elf Uhr kam er mit einer neuen Füllung wieder heraus.
    Noch am selben Nachmittag fuhr er mit dem Bus nach Devonport und war gegen Abend auf der Autofähre nach Melbourne. Er schlief schlecht: ein Etagenbett in einem stählernen Sarg unter der Wasseroberfläche, dazu junge Männer, die, berauscht bis an den Rand der Besinnungslosigkeit, aus der Diskothek hereintorkelten, und dann war da noch das Ungewisse, das vor ihm lag.
    Als der Morgen dämmerte, duschte er, zog sich an und stieg die Stufen zum Oberdeck hinauf. Sein Frühstück nahm er in einem Speisesaal ein, dessen Bodenbelag, Vorhänge und Ausstattung die Farbe des Erbrochenen hatten, das draußen die Eisenstufen verunzierte. Nie zuvor in seinem Leben hatte er einen derart miesen Toast und einen derart schlechten Kaffee zu sich nehmen müssen. Anschließend ging er an die frische Luft, stellte sich in die Nähe des Bugs, von wo aus er beobachten konnte, wie sich die Fähre The Rip näherte, der engen Einfahrt zur Port Phillip Bay. Er konnte das Land zu beiden Seiten erkennen: Hügel, Flachland, weiße Strände und einige Fischerdörfer; dann ein Leuchtturm und die Fähre schob sich durch den Schlitz der Einfahrt.
    Wyatt blieb an Deck und ließ die kühle Luft in seine Lungen, während die Fähre die Bellarine Peninsula umfuhr und die Mitte der Bucht kreuzte. Vor einem Jahr hatte er dieses Gewässer in einem gestohlenen Motorboot befahren, allein und auf der Flucht — etwas Alltägliches in jenen Tagen —, nachdem er einen Mann erschossen hatte, der ihn ans Messer hatte liefern wollen.
    Die Fähre legte um 8.30 Uhr an und Wyatt ging mit den anderen Passagieren von Bord. Wie immer streifte er durch die Dockanlagen, hielt Ausschau nach Männern, die so unauffällig wie möglich irgendwo im Hintergrund ausharrten. In jedem Hafen dieser Welt traf man auf solche Gestalten, die entweder gezielt darauf warteten, jemanden schnappen zu können, oder einfach ausspionierten, wer neu in die Stadt kam, eine Information, die sie vielleicht später mit einem Raub oder Mordfall verknüpfen konnten.
    Niemand dergleichen zeigte sich, zudem hatte Wyatt sein Äußeres abermals verändert; diesmal mit jeder Menge Kaugummi im Mund, um die Wangen aufzupolstern, einer Baseballmütze auf dem Kopf und dem Schal eines Fußballvereins um den Hals. Nicht dass Wyatt etwas von Fußball verstünde oder sich dafür interessierte. Fußball mit all seinen Begleiterscheinungen hatte in erster Linie mit Gemeinschaft zu tun und Wyatt war nie Teil eines Rudels gewesen, hatte nie das Bedürfnis verspürt, es zu sein oder zu werden — eine Eigenart, die ihm sein Leben lang Freiheit, eine gewisse Anonymität, Unantastbarkeit und Lauterkeit garantiert hatte.
    Er nahm ein Taxi. Dreißig Minuten später war er bei einem Autoverleih in der Innenstadt und arbeitete eine Route nach Emerald aus, eine Kleinstadt in den Hügeln.

    NEUNZEHN

    Der Tag fing schlecht an: im Gerichtsgebäude, mit einer Pflichtverteidigerin, die ihn Terry nannte. Nicht Mr. Baker, sondern Terry, als hätte er ein respektvolles Mister nicht verdient. Andererseits hatte er in Sachen Rechtsprechung die Erfahrung gemacht, dass einzig die Kadis, die bisher über ihn zu Gericht gesessen hatten, ihn mit Mr. Baker angesprochen hatten.
    »Setzen Sie sich, Terry«, sagte sie. »So.«
    Baker zog sich einen durchgesessenen Sessel

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