Portland Head Light
normalerweise hätte Dominic die Sache spätestens jetzt auf sich beruhen lassen, aber in diesem Fall konnte er genau das eben nicht tun, daher ließ er die Briefe fallen und rannte Cameron hinterher.
„Blöder Arsch?“, wiederholte er wütend. „Du solltest dich besser daran erinnern, dass der blöde Arsch dich...“
Dominic brach abrupt und fassungslos ab. Er wusste nicht, was ihn mehr schockierte. Die Tatsache, dass er Cameron gerade damit hatte drohen wollen, dass er ihn hier wohnen ließ, oder dass der ihn auf einmal mit einem derart panischen Blick ansah, so als würde er auf den ersten Schlag von ihm warten, dass Dominic sich plötzlich wie das allerletzte Schwein vorkam. Weil er Cameron nicht noch mehr Angst machen wollte, wich er langsam bis zur Tür zurück, um sich danach seufzend gegen den Türrahmen zu lehnen.
„Es tut mir leid. Ich wollte dir keine Angst machen“, murmelte er und rieb sich übers Gesicht. „Ich...“ Dominic wusste nicht, was er sagen sollte. „Entschuldige.“
„Ich habe nicht in deinen Sachen geschnüffelt“, murmelte Cameron hörbar verunsichert.
Dominic verzog beschämt das Gesicht. „Ich weiß, tut mir leid. Es ist nur...“ Er brach wieder ab, schüttelte den Kopf, und sah dann an Cameron vorbei aus dem Fenster. Es hatte wieder angefangen zu schneien. „Diese Briefe sind... sie sind... ich will nicht, dass sie jemand anfasst, okay?“
„Okay“, antwortete Cameron nur und war sichtlich entspannter, als Dominic ihn schließlich wieder anschaute. „Tee?“
„Ja. Danke.“
Ablenkung war gut. Ablenkung war sogar sehr gut, fand Dominic und wandte sich ab, um schnell die Briefe wegzuräumen. Er würde diese verdammte Schublade noch heute reparieren, soviel stand fest. Aber zuerst sollte er dafür sorgen, sich wieder vernünftig zu benehmen, bevor Cameron aus Angst vor ihm in ein Hotel flüchtete. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Dominic schüttelte über sich selbst den Kopf. Cameron war erst vor einigen Tagen überfallen und ausgeraubt worden und er benahm sich, anstatt ein wenig Rücksicht zu nehmen, wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Das durfte sich auf keinen Fall wiederholen, entschied er, während er die Briefe einsammelte und wegpackte.
Ein lauter Schrei, gefolgt von wildem Fauchen und einem Poltern, rissen Dominic am frühen Morgen des zweiten Advent aus dem Schlaf. Er brauchte ein paar Sekunden, um sich zu orientieren und dann die Nachttischlampe einzuschalten, weil es draußen noch dunkel war, aber als er Cameron gegenüber stöhnen hörte, hielt ihn nichts mehr in seinem Zimmer.
„Cameron?“ Er klopfte und trat ins Gästezimmer, als keine Antwort kam. Weil er nichts sehen konnte, machte Dominic das Licht an und blinzelte erstmal, um dann verdutzt zu Cameron zu sehen, der neben dem Bett auf dem Boden lag. Nackt. Verschreckt. Und mit einer Platzwunde an der Stirn. „Verdammt“, fluchte er und war so schnell bei Cameron, dass der gerade mal ein Blinzeln schaffte und ihn danach irritiert ansah. „Wie viele Finger sind das?“, fragte er ahnungsvoll und hob seine Hand hoch, drei Finger abspreizend.
„Sechs.“ Cameron sah ihn vollkommen verblüfft an. „Wieso hast du sechs Finger?“
Dominic sparte sich die Antwort. „Was hast du gemacht?“
„Mich erschreckt.“ Cameron verzog schmollend die Lippen. „Montana hat mich gekratzt und ich bin aus dem Bett gefallen. Wie ein Baby. Pfft.“
„Und dabei mit deinem Dickschädel gegen den Schrank gedonnert“, murmelte Dominic und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als Cameron empört verkündete,
„Ich habe keinen Dickschädel.“
Und ob Cameron einen Dickschädel hatte. Dominic sparte sich den Kommentar, der ihm auf den Lippen lag, und half Cameron zurück ins Bett. Er würde einen Arzt organisieren müssen und wenn der Cameron nicht ins nächstgelegene Krankenhaus verfrachten wollte, würde er sich darum kümmern, was Cameron da angeblich im Schlaf erschreckt hatte. Dominic tippte auf einen Alptraum, aber darüber brauchte er im Moment gar nicht weiter nachdenken. Zuerst musste ein Arzt her, alles Weitere konnte warten.
„Sorgen Sie dafür, dass er heute im Bett bleibt und morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“
„Er hat keine Gehirnerschütterung?“, hakte Dominic nach und war zufrieden, als Doc Wilbur abwinkte. „Gott sei Dank.“
„Der Bursche hat einen dicken Schädel. Ich habe seine Platzwunde geklebt und gut ist. Er wird Kopfschmerzen
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