Portland Head Light
vieles weggenommen und du bist schon solange fort von mir, dass es mir von Tag zu Tag schwerer fällt, mich an dich zu erinnern. Ich sehe immer nur diesen kleinen Jungen vor mir, der mich aus großen, braunen und so ängstlichen Augen ansah, während das Monster in mir nur eines wollte, seinen Tod.
Wie konnte ich nur das Kostbarste in meinem Leben töten wollen? Wieder und wieder und wieder habe ich mir diese Frage gestellt und außer einem Lachen keine Antwort bekommen. Dieses irre Lachen, das nur in meinem Kopf existiert. Das mir alle diese Dinge zuflüstert, die so abscheulich sind, das ich mich weigere, sie auszusprechen. Ich weiß, dass ich nicht böse oder schlecht bin, ja, ich weiß das. Ganz tief in mir drinnen weiß ich das. Aber sie sagt jeden Tag ein bisschen lauter, dass ich es doch bin, weil ich nicht zögerte, das Messer auf dich zu richten.
Ich merke, wie mein Verstand mir von Tag zu Tag mehr entgleitet. Dieses Gefühl ist so schlimm für mich, weil ich solche Angst habe, dass mir nicht mehr genug Zeit bleibt, dir alles bis zum Ende zu erzählen. Dabei will ich dir noch soviel sagen. So vieles, was für immer unausgesprochen bleiben wird, weil die Stimme in meinem Kopf sich bald weigern wird, mir die Kontrolle zurückzugeben. Weil kein Medikament der Welt mich davor retten kann, dass ich schon bald so schlecht denken werde, dass ich den Schnee nicht mehr sehen darf, weil sie mich wegsperren werden. Ganz weit weg, wo es immer dunkel und kalt ist. Wo keine Sonne ist, kein Schnee und keine Unschuld.
Die Ärzte flüstern über mich. Sie denken, ich höre es nicht, nur ist mein Gehör nicht kaputt, so wie mein Kopf. Ich werde sehr bald schon sterben, obwohl ich noch am Leben bin. Mein eigener Körper wird leben, doch mein Verstand wird sich an nichts mehr erinnern, sagen sie, und ich fürchte mich davor, Dominic. Ich fürchte diesen Tag, an dem aufwachen und zugleich einfach weiterschlafen werde. Warum ich? Was habe ich Gott denn getan, dass er bei meiner Geburt beschloss, mich so hier existieren zu lassen. Mit einem Leben, das nichts Halbes und nichts Ganzes ist. Ein Leben, das schlimmer ist, als mein Tod es wäre.
Zu sterben wäre wenigstens ein Ende. Aber dies ist ein Schrecken ohne Ende. Ein Alptraum, aus dem es einfach kein Entrinnen gibt. Ich möchte das nicht. Das ist nicht der Tod, den ich mir für mich wünsche. Das ist keine Würde. Vielleicht habe ich auch keine Würde verdient. Vielleicht ist das die Strafe dafür, dass ich dir deinen Vater nahm. Aber ich möchte nicht sterben und gleichzeitig leben. Ich möchte die Sonne sehen, das Funkeln all der Sterne im Schnee. Ich möchte gehen, solange ich noch am Leben bin. Solange ich noch weiß, wer du warst und wer du bist. Ich will nicht vergessen, dass es dich gibt. Ich will nicht nur noch dieses Lachen in meinem Kopf hören. Diese Stimme, die flüstert und flüstert und mir sagt, dass ich böse bin. Ich würde so gerne die Sonne auf meiner Haut spüren. Wenigstens ein letztes Mal.
Ich liebe dich über alles,
Mum
Colin McDermott hatte sich auf den ersten Blick nicht verändert. Von ein paar Falten mehr im Gesicht einmal abgesehen. Die gleichen grünen Augen wie früher, die Cameron und ihm entgegenblickten, als sie aus dem Flughafengebäude raus waren, und dasselbe braune Haar, mit dem er Devins besten Freund in Erinnerung hatte. Dazu kam noch die obligatorische Zigarette im Mundwinkel, denn Colin rauchte so gut wie ständig, seit Devins Unfall damals. Dominic verkniff sich jeden Kommentar, als Colin sie höflich lächelnd begrüßte, weil er vor Cameron keinen Streit anfangen wollte. Allerdings brauchte der nur einen Blick auf sie beide, um die Stirn in Falten zu legen und damit deutlich zu fragen, was hier los war.
„Mach dir keine Gedanken. Dominic kann mich nicht ausstehen, das ist alles“, erklärte Colin ungefragt, dem Camerons Blick natürlich nicht entgangen war, worauf der Devins Freund verdutzt ansah.
„Und warum nicht?“
„Er gibt mir die Schuld an Devins Unfall, weil ich im Wagen saß, als es passierte“, antwortete Colin, wofür Dominic ihn am liebsten erwürgt hätte. Seit wann war dieser Ire so schwatzhaft?
„Du bist ja auch Schuld“, fuhr er ihn an, weil er sich nicht zurückhalten konnte, und warf Colin einen wütenden Blick zu. „Und ich wäre dir sehr verbunden, wenn wir das Thema jetzt fallen lassen könnten, McDermott.“
Damit schien nun aber Cameron nicht einverstanden zu sein, denn bevor Dominic Colin
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