Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Portland Head Light

Portland Head Light

Titel: Portland Head Light Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathilda Grace
Vom Netzwerk:
wollte dir etwas zu essen machen und dein Vater war auch da. Du hast geweint. Warum weiß ich nicht. Ich kann mich auch nicht mehr daran erinnern, was ich dir zu essen machen wollte. Da sind so viele Bilder in meinem Kopf und ich würde sie gern in Ordnung bringen, aber das gelingt mir seit Jahren nicht. Da war dieses Messer und ich wollte etwas kleinschneiden. Gemüse vielleicht? Und du hast geweint, die ganze Zeit hast du geweint, das hat mich genervt. Ich weiß, dass du mein Baby warst und nichts dafür konntest, aber ich war auf einmal ganz wütend. So wütend, dass ich nur noch wollte, dass du still bist.
    Und dann warst du still. Dann hast du mich angesehen, mit deinen großen Augen und überall auf dir war das Blut deines Vaters, weil ich ihn mit jenem Messer, mit dem ich etwas kleinschneiden wollte, ermordet hatte. Ich tötete den Mann, der dein Leben beschützt hat und den ich über alles liebte, und dann warst du still. So still. So leise wie eine Maus. Und ich war trotzdem wütend auf dich. Ich weiß nicht, warum ich wütend war, denn du warst doch still, genau wie ich es gewollt hatte. Und dann waren da auf einmal all diese Menschen und nahmen dich fort von mir, weil ich verrückt bin. Weil ich diese Stimme in meinem Kopf hörte, die gar nicht da war. Weil diese Stimme mir zuflüsterte, dass du auch tot sein sollst. Dass ich versagt hatte, weil du noch da warst und mich angesehen hast, mit deinen großen und braunen Augen.
    Mein kleiner Engel, der wirklich einer geworden wäre, hätten die Nachbarn nicht deine lauten Schreie und den Kampf gehört, und die Polizei gerufen. Ich kann dir nicht sagen, woher ich überhaupt die Kraft nahm, gegen deinen Vater zu bestehen. Ich wünschte, es wäre mir nicht gelungen. Ich wünschte, er wäre noch am Leben, denn dann hättet wenigstens ihr gemeinsam glücklich sein können. Bist du das in deinem Leben, Dominic? Bist du glücklich? Mit deinem jüngeren Bruder, deinen Eltern und deinem neuen Zuhause? Ich weiß, ich habe kein Recht, dich danach zu fragen, aber ich tue es trotzdem, weil ich mir wünsche, dass du es bist. Dass mein kleiner Engel, der nun groß und erwachsen ist, glücklich ist.
    Feierst du eine Party heute? Oh, was frage ich, natürlich wirst du eine Party feiern, es ist immerhin dein Geburtstag. Und du bist achtzehn geworden, das feiert man doch. Wenn auch nicht unbedingt daheim, bei deinen Eltern. Dafür bist du längst zu alt, oder? Eine Feier daheim ist schließlich nicht 'cool', wie es die jungen Leute heutzutage sagen. Vermutlich wirst du mit deinen Freunden irgendwo hingehen. Das gehört schließlich dazu, wenn man erwachsen wird. Es ist so merkwürdig, mir vorzustellen, wie du Bier trinkst oder eine Zigarette rauchst, wenn meine letzte Erinnerung an dich so alt und verblasst sind. Und auch wenn ich dir keine Geschenke machen darf, so kann ich dir wenigstens 'Alles erdenklich Gute' wünschen.
    Happy Birthday, mein Schatz. Willkommen in der Welt der Erwachsenen.
    In Liebe,
    Mum

    „Es tut mir leid, Colin.“
    Colin sah von den Karten auf und ihn verdutzt an. „Was?“
    Dominic bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Cameron und Devin sich einen verschwörerischen Blick zuwarfen und grinsten. Er würde sie später dafür erwürgen, jetzt hatte er erstmal Wichtigeres zu tun. Immerhin schob er das bereits seit über drei Stunden vor sich her, seit dem Abendessen, zu dem seine Eltern Colin spontan eingeladen hatten, um genau zu sein, und langsam kam er sich dämlich vor.
    Seine Eltern hatten sich längst ins Wohnzimmer zurückgezogen, um sie in der Küche in Ruhe ein paar Runden Karten spielen zu lassen, und mittlerweile waren die beiden angefangenen Chipstüten genauso leer, wie die Erdnüsse und die Packung Salzstangen, die seine Mum ihnen hingelegt hatte. Und Cameron riss sich eben den letzten Rest Cola unter den Nagel. Vielleicht sollte er für Nachschub sorgen, überlegte Dominic und zuckte zusammen, als Cameron ihm unter den Tisch gegen das Schienbein trat, worauf sich sein Blick wieder auf Colin richtete, der ihn immer noch verdutzt ansah. Ach ja, da war ja noch was.
    „Dass ich dir die Schuld gegeben habe.“
    „Na wird ja auch Zeit“, seufzte sein Vater drüben im Wohnzimmer, um im nächsten Moment höchst empört zu verkünden, „Aua! Sally, was soll denn das?“
    „Wirst du wohl aufhören, unsere Jungs zu belauschen“, zischelte seine Mutter tadelnd, was dafür sorgte, dass Dominic zu grinsen anfing. Wieso wunderte ihn das eigentlich

Weitere Kostenlose Bücher