Porträt eines Süchtigen als junger Mann
die langsam einen Rollkoffer zieht und in ein Handy spricht. Mir fällt auf, wie null-acht-fünfzehn ihr Koffer, ihre Schuhe und ihre Jacke sind. Irgendwie entspricht das seinem Aufzug. Und wie man in der Skyline einer Stadt erst einen Wasserturm ausmacht und dann sie alle, sehe ich in den darauffolgenden Minuten zig solcher Leute. Nichtssagend gekleidete, kofferziehende, handybewehrte Zombies mittleren Alters, deren unspontane Bewegungen genau auf meine abgestimmt zu sein scheinen.
Gefühlte Stunden laufe ich auf dem Flughafen herum, ehe ich mich für die Sicherheitskontrolle anstelle. Zu einigen der Leute, die ich in Verdacht habe, hinter mir her zu sein, werde ich frech, sehe ihnen direkt ins Gesicht und lächle, scherze sogar gelegentlich, dass sie da eine undankbare Aufgabe haben. Nie ernte ich mehr als ein blödes Grinsen oder ein Augenrollen. Irgendwann ist die Anspannung so groß, dass ich mich neben dem Aufzug im zweiten Stock schon von der Galerie springen sehe, um der sicheren Verhaftung zu entgehen. Aber das ist keine Höhe, dabei kann man sich höchstens ein Bein brechen oder zwei.
Später, hundemüde vom stundenlangen Panikwandern durch den Flughafen und im freien Fall nach beinah einer Woche Crack, wende ich mich schließlich an einen der Typen, der etwas jünger ist, und frage:
Warum bringt ihr es nicht hinter euch?
, worauf er leise lacht und sagt:
Später. Wenn Sie erst woanders sind, macht’s viel mehr Spaß. Warten Sie’s ab.
Ich bin sicher, dass er das sagt. Seine Worte lassen mich erstarren, dann beschließe ich, mich endlich anzustellen, ziehe Schuhe und Gürtel aus und passiere den Metalldetektor. Auf die andere Seite komme ich so und so nicht, und inzwischen bin ich so gebeutelt, dass ich’s einfach nur noch hinter mich bringen will.
Aber ich komme durch. Ich komme durch und erlebe ein kurzzeitiges, vorsichtiges Hochgefühl. Vielleicht ist ja alles nur in meinem Kopf. Vielleicht liegt es nur an den Drogen, deren gute Wirkung ganz verflogen ist; die einen kaputten Körper und einen für Wahnideen anfälligen Geist zurückgelassen haben. Ich schaffe es zum Flugsteig, und dort geht man schon an Bord. Ich zögere mehrmals, als ich in der Wartezone am Gate ein paar von den JC Penneys herumlaufen sehe. Die Worte des jungen Penneys klingen mir im Kopf, aber ich brauche unbedingt einen Wodka und habe außerdem frei erhältliche Schlaftabletten in meiner Reisetasche. Wenn ich mich erstmal in die dicken Polster fallen lassen und mich ausblenden kann, geht’s mir wieder gut. Wenn ich nur an Bord komme und weg von diesen Dumpfbacken, geht’s mir wieder gut. Also marschiere ich zum Check-in, zeige meine Bordkarte vor und steige ein.
Mein Platz liegt am Gang, zweite Reihe rechts. Noch nie hat etwas so einladend ausgesehen. Ich setze mich hin und spüre bald, wie die schreckliche Panik der letzten zweieinhalb Stunden nachlässt. Ich atme durch und sehe zum Fenster hinaus auf die Rollbahn und das Bodenpersonal, das Gepäck verlädt. Jetzt erst wird mir klar, dass der Koffer, den ich gestern aufgegeben habe, mit der falschen Maschine abgegangen ist. Die Sorge um verlorengegangenes Gepäck mutet mich aber wie ein Luxusproblem an, und ich nehme mir vor, mir erst Gedanken darüber zu machen, wenn ich in Berlin bin.
Ich verstaue meine Reisetasche unter dem Sitz, lehne mich zurück und schließe für ein paar Minuten die Augen.
Endlich außer Gefahr
, denke ich. Und dann, als ich mich nach einer Stewardess umschaue, verschlägt es mir den Atem. Ich sehe
sie
– die Penneys. Eins, zwei, drei, vier, mindestens fünf von ihnen sitzen in der Ersten Klasse verteilt. Genau in diesem Augenblick beugt sich eine Stewardess zu einem von ihnen hinunter und sagt ihm leise etwas. Zweifellos geht es um mich. Um meine Verhaftung in Amsterdam oder Berlin. Wenn nicht gleich hier. Gleich jetzt. Der ganze Passagierraum kommt mir plötzlich wie eine Kulisse vor, wie ein ausgefeiltes Bühnenbild, das die Erste Klasse eines Flugzeugs darstellen soll. Die dünnen Servietten sind nachgemacht, die Stewardessen Schauspielerinnen und die Penneys Androiden – halb Mensch, halb Roboter, gefühllos und gefährlich.
Eine der Stewardessen ist plötzlich neben mir. Sie fragt in einem Ton, der mir spöttisch und unaufrichtig klingt, ob ich etwas trinken möchte. Die Penneys machen mir Angst, aber sie regt mich auf. Ärgert mich. Ich frage sie, ob die Maschine wirklich in Amsterdam landet. Sie guckt zwar
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