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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Clegg
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Den ich bereits verlassen habe.
     
    David spaziert aus dem Restaurant und dreht sich nicht um. An seine letzten Worte kann ich mich nicht erinnern, aber sie waren kurz, klar und traurig.

Unter Kontrolle
    Er ist zehn. Abendessenszeit. Er ist etwas aufgeregter als sonst, weil er seinen Freund Kenny da hat und sein Onkel Teddy aus San Diego für ein paar Tage zu Besuch ist. Onkel Teddy kann er gut leiden. Der hat einen Pool, fragt viel nach der Schule und gehört zu den wenigen Leuten, die seinen Vater zum Lachen bringen, ihn aufheitern können. Seine Mutter macht Hamburgersauce – mit Champignoncremesuppe und Zwiebelsuppe gestrecktes Rinderhack, das zu Keksen, Reis oder Kartoffelpüree gegessen wird. Vielleicht macht sie auch Rahmhähnchen. Gleiches Prinzip wie die Hamburgersauce, nur mit einem Beutel Tiefkühlgemüse – Erbsen, Möhren, Perlzwiebeln. Das sind so ihre Gerichte, die sie zu Hause in Youngstown, Ohio, kochen gelernt hat, als nach dem Tod ihres Vaters das Geld knapp war, und die sie auch gekocht hat, als sie Stewardess war und mit vier Zimmergenossinnen in Queens wohnte. Ihm schmecken diese Sachen; er isst sie, als bekäme er nie genug davon, und nimmt sich mehr als einmal Nachschlag. Für seinen Vater ist es Schweinefraß. Heute Abend sagt er, er fasst es nicht, dass sie seinem Bruder so einen Scheiß vorsetzen wollte. Wenn er zwischen seinen Reisen zu Hause ist, kocht er meist etwas anderes – Fisch vom Grill oder gekochten Hummer –, und jetzt tut er das auch.
     
    In der Küche ist Betrieb. Seine Mutter wuselt am Herd herum. Seine ältere Schwester Kim deckt den Tisch, und seine jüngeren Geschwister Sean und Lisa sehen nebenan fern. Das große Kristallglas seines Vaters ist voll mit Scotch, und sein Onkel Teddy hat eine Flasche Bier in der Hand.
     
    Die Jungen machen sich über die Hummer im Spülbecken lustig, erfinden Namen für sie und kommentieren ihre Krustentierbewegungen wie Sportreporter einen Show-Ringkampf. Kenny nennt den Kleinsten Mama-Pet, das ist ihr Spitzname für Kim, und sie kichern heftig, als die größeren Hummer über den kleinen hinwegklettern.
Oh neeeiiin … Mama-Pet!
Kenny wendet sich Kim zu, die neues Besteck auf den Esstisch legt, und sagt:
Lauf, Mama-Pet! Die zerquetschen dich. Lauf!
Die beiden Jungen können vor Lachen kaum reden. Das geht so weiter, bis Kim sich ein Buch schnappt und mit einem mordswütenden
Ihr könnt mich mal!
hinausstürmt. Darüber lachen sie sich schwindlig. Onkel Teddy lacht auch und sagt ihnen leise, sie seien unmöglich, hat aber offensichtlich Spaß daran.
     
    Das Essen wird serviert, und sein Vater schweigt. Teddy ist zwar jünger, aber Außenstehende würden ihn für das Oberhaupt der Familie halten, den Ältesten der sieben Geschwister, den Anführer. Vielleicht fällt es ihm deshalb leichter, beim Essen mal etwas zu sagen. Das unbeschwerte Lachen in der Küche und Teddys gutmütiges Einverständnis geben ihm genau das Selbstvertrauen, das er braucht, um den Mund aufzumachen. Er erzählt Teddy von seiner Fußballmannschaft. Dass sie in die umliegenden Städte fahren, dass er halbrechts spielt, manchmal auch Mittelstürmer. Er erzählt ihm von Joe, dem schwersten Jungen in der Klasse, der auch einer der schnellsten ist und, obwohl er in der Defensive spielt, die meisten Tore schießt. Sein Vater hört sich das schweigend an, steht aber ein paarmal auf und geht in die Küche, um sich nachzuschenken. Kenny redet über ihren Klassenkameraden Dennis, der ihm zufolge niemals badet und in einem Haus ohne fließendes Wasser lebt. Dennis hat ein hängendes Augenlid, das sein linkes Auge halb verdeckt, auch wenn es offen ist, und Kenny erklärt, das sei darauf zurückzuführen, dass er als Baby unterernährt war. Seine Familie sei so arm, dass sie ihm nicht hinreichend habe zu essen geben können.
     
    Seine Mutter sagt etwas Nettes über Kennys Familie. Kim sagt Kenny, er solle den Schnabel halten.
     
    Die Jungen plappern weiter – über die Schule, Kennys Schwestern, wer weiß was – und Teddy hört beiden geduldig zu und lacht sein schnelles, abgehacktes Lachen, das sie nur weiter anstachelt.
     
    Lisa spielt mit ihrem Essen, und Sean sitzt auf dem Kinderstuhl.
     
    Von weitem sehen sie aus wie jede andere Familie. Von weitem sieht er aus wie jeder andere Junge. Der mit seinem Freund zusammen lacht. Über Fußball redet. Kordhose und Rolli trägt wie alle Jungs in seinem Alter. Auch bei genauem Hinschauen würde man dem Jungen nicht

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