Porträt eines Süchtigen als junger Mann
heute Abend fliege. Ich frage, ob alle an Bord sind, und sie deutet auf die Penneys und sagt, nicht alle, aber die meisten Passagiere schon. Wie zuvor habe ich das Gefühl, vor einer unerhört wichtigen Entscheidung zu stehen. Fliege ich, werde ich vielleicht in Paris oder Berlin verhaftet. Bleibe ich, werde ich vielleicht hier verhaftet. Fliege ich und werde nicht verhaftet, kommt nach ein paar ruppigen Tagen mit Noah vielleicht alles wieder in Ordnung. Bleibe ich hier und werde irgendwie doch nicht verhaftet, bleibe ich auf Droge. Das ist mir klar.
Also stehe ich auf, gehe vom Gate weg und rechne damit, verhaftet zu werden. Als ich mich kurz umdrehe, laufen zwei von den Penneys gerade auf die Seite, um zu sehen, ob ich zurück zur Sicherheitskontrolle gehe. Ohne mich noch einmal umzudrehen, halte ich auf die Gepäckausgabe zu. Ich weiß, dass ich nicht bis zum Taxistand komme. Penneys, Polizei, die Flughafensicherheit und Gott weiß wer noch werden über mich herfallen. Die letzten Zeilen eines Romans, den ich vor Jahren vermittelt habe, kommen mitten in der Panik hoch.
Es war soweit
, lauteten sie,
Es war soweit
.
Ich krame mein Handy hervor und sehe, dass die Akkuanzeige nur noch einen Balken hat und rot blinkt. Ich rufe David an. Es ist nach elf, und seine Frau Susie nimmt ab. Ich bitte um Entschuldigung und frage sie, ob David da ist, es sei wichtig. Sie sind offensichtlich schon im Bett. Er meldet sich und fragt, was los ist. Ich sage ihm, dass ich auf dem Flughafen Newark wegen Drogen verhaftet werden soll und dass er mir einen guten Anwalt besorgen muss. Wahrscheinlich schreie ich, als ich ihm sage, er soll schnell machen, denn er sagt pscht und meint, ich solle mich beruhigen. Er fragt, wo ich auf dem Flughafen bin, und ich sage, auf dem Weg vom Abflugsgate zur Gepäckausgabe. Er sagt mir, ich solle am Apparat bleiben, mir ein Taxi nehmen und nach Hause kommen. Ich erkläre ihm, dass ich es nicht bis zu den Taxis schaffen werde, und dann geht die Verbindung weg. Der Akku ist leer. Ich gehe weiter. Niemand hält mich auf. Ich gehe durch die Abflughalle zur Gepäckausgabe. Von den Penneys ist auf einmal nichts mehr zu sehen. Ich bin überzeugt, dass sie oben aus dem Flughafengebäude raus sind und mich bei den Taxis erwarten. Ich nehme den Ausgang an der Gepäckausgabe und gehe über die Straße zum Taxistand. Ein Taxi hält. Ich steige ein. Der Fahrer fragt, wohin. Ich sage, One Fifth Avenue in Manhattan; weil ich aber damit rechne, dass man uns noch auf dem Flughafengelände anhält, füge ich hinzu, es würde eine kurze Fahrt. Der Fahrer brummelt etwas und fährt los. Ich schaue auf seinen Fahrerausweis, und das unverdeckte Foto zeigt wirklich den grauhaarigen, bärtigen Inder, der am Steuer sitzt.
Ich schwebe im Schockzustand. Jede Sekunde, die vergeht, jeder Meter, den das Taxi ohne Sirenen- und Blaulicht-Untermalung zurücklegt, erscheint mir wie ein Wunder. Dann kommt mir der Gedanke, dass die ganze Truppe wahrscheinlich einfach vor der Wohnung auf mich wartet. Ich frage den Fahrer, ob ich mal sein Handy benutzen darf. Er reicht es mir nach hinten, und ich rufe erneut David an.
Ich bin im Taxi
, sage ich,
aber ich weiß nicht, ob wir bis zum Haus kommen
. Er sagt, er wartet in der Lobby auf mich und ich soll mich beruhigen. Das würde ich auch gerne, als wir auf den Tunnel Richtung Stadt zurollen. Ich kann gar nicht glauben, dass wir so weit gekommen sind. Ich sehe das Aufgebot an Streifenwagen und Zivilfahrzeugen der Rauschgiftbehörde vor mir, wie sie One Fifth umstellen, zuckende Lichter und die erschrockene Neugier in den Gesichtern der Bewohner. Dabei frage ich mich, ob Trevor, mein Lieblingspförtner, heute Abend Dienst hat und was er wohl denkt, wenn ich in Handschellen abgeführt werde.
Aber es gibt kein Aufgebot. Nur David wartet mit zerwühlten Haaren in einen Mantel geschnürt in der Lobby. Er sieht erschöpft und angesäuert aus und sagt, er bleibt über Nacht. Am Morgen gehen wir frühstücken, und er fragt, in welche Entziehungsklinik er mich bringen soll, aber trotz der grimmigen Besorgnis in seinem Gesicht antworte ich:
In gar keine
.
Wir sitzen auf Hockern am vorderen Fenster des
Marquet
, und der Tag und die Leute draußen strahlen um die Wette. Was für eine Glitzerwelt, denke ich, gemacht für die Davids und Noahs, für Leute, deren Leben ich nur als makellos und glücklich ansehen kann. Ein Ort, den ich besuchen durfte, an dem ich aber nicht bleiben kann.
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