Porträt eines Süchtigen als junger Mann
Horrorfracht hinein.
Jeder Tastendruck, jedes Aufreißen der Waschmittelpackung, jedes Türschließen hallt wie ein Gewehrschuss, und ich bin sicher, gleich kommt Ian heruntergestürmt und brüllt seinen Lieblingssatz
Was machst du denn?
Ian kann dieser Frage ein Optimum an Abscheu und Verachtung mitgeben. Der Junge mag Bob Dylan, hält alle anderen Musiker für Blender und kann den Staat Maryland so wenig ausstehen wie dicke Mädchen oder Frauen und überhaupt fast alles, was nicht aus Memphis kommt. Ich bin sein Freund, aber es scheint mir eine unsichere Freundschaft zu sein, die wegen einer einzigen falschen Band oder eines vollgemachten Betts jederzeit aufgekündigt werden kann.
Um nicht noch mal Krach auf der Treppe zu machen, setze ich mich hin und warte, bis die Wäsche durchgelaufen und getrocknet ist. Da geht es schon auf elf Uhr zu. Ich mache das Bett, raffe meine Sachen zusammen und rufe ein Taxi. Ich wecke Ian, um tschüs zu sagen, und er kneift das Gesicht zusammen und sagt:
Gott, Billy, siehst du scheiße aus.
Da sehe ich Ian zum letzten Mal. Er geht nicht nach Boulder. Ich schon, aber mein Vater besteht darauf, dass ich nach Maryland zurückkehre und die Suppe da auslöffle. Das tue ich. Brooks und ich sind bis zu meinem Abschluss dann Zimmergefährten, und Jack geht zurück nach Baltimore, wo er – vermutlich bis heute – Mundharmonika spielt und hinterm Tresen steht.
Ich komme über eine Stunde zu spät zu meiner Verabredung mit Miho im Rockefeller Center. Meine Sachen stinken, und die schwarze Aspen-Kappe auf meinem Kopf – sie gehört Ian, ich trage sie damals fast täglich – ist nach der langen Nacht mit Fusseln und Krümeln aller Art übersät. Die Galle kommt mir hoch, und ich habe mich im Zug schon zweimal übergeben.
Miho sieht verärgert und wie aus dem Ei gepellt aus. Sie trägt ein gelbes Kostüm wie von Chanel, rote Pumps, und ihre Bluse ist so weiß, dass ich die Augen zusammenkneifen muss. Miho ist neunzehn, sieht jedoch aus wie eine gestandene Geschäftsfrau oder eine Nachrichtensprecherin Mitte der Dreißig. Sie mustert mich argwöhnisch und fragt, ob’s mir gut geht. Einigermaßen, sage ich und frage sie, wo sie hin möchte. Ich hätte es mir denken können: Saks Fifth Avenue, Tiffany, Cartier, Bergdorf, Bonwit Teller, Gucci. Wir verbringen den Tag an Orten, wo mich das Wachpersonal gut im Auge behält. Es wird einer der längsten Tage meines Lebens, und ich lasse mir in mehreren Delis unterwegs Aspirin und Wasser geben.
Die Stadt kommt mir vor wie ein Zeichentrickfilm, in dem ich durch ein schweres kosmisches Versehen gelandet bin. Die Wachleute sind die einzigen, die mich wahrnehmen; für alle anderen bin ich unsichtbar. Die zerlumpten Shorts, der aztekische Stoffgürtel, das Snowbird-T-Shirt und die Aspen Cap (alles keine Reiseandenken) gehören zu einer ganz anderen Welt, und ich fühle mich noch nicht mal wohl darin. Die Menschen wirken so selbstbewusst, so fest in ihrem Leben verankert, wie sie die Fifth und die Madison Avenue rauf und runter marschieren. Manche sehen nicht viel älter aus als ich, aber sie scheinen aus einem Material geschnitzt und von Kräften geformt zu sein, die ich mir nicht mal vorstellen kann. Später werde ich oft an sie denken, und dann erscheinen sie mir wie die Stadt: golden, zauberhaft, überwältigend.
Erst drei Jahre danach sehe ich New York wieder. Da habe ich das Studium hinter mir und bin bei meiner Freundin Marie, die neun Jahre älter ist als ich. Sie arrangiert ein zwangloses Treffen mit einem Bekannten von ihr, der Verlagslektor ist – in einem Verlag, der mir wie sonst nur wenige ein Begriff ist, weil sein Name in den Büchern von Salinger und Dickinson steht, die ich immer wieder gelesen habe. Ich sperre mich, aber sie besteht darauf, dass ich wenigstens mal einen Blick in die Verlagswelt werfe, denn ihrer Meinung nach gehöre ich dahin. Ich überlasse mich ein wenig ihrer Phantasie, doch es ist, als wäre ich fünf oder sechs und würde mich im Freibad mit den großen Jungs übers Kopfspringen vom Zehnmeterbrett unterhalten: tolles Thema, aber ein Ding der Unmöglichkeit.
Wir treffen uns einen Block vom Rockefeller Center entfernt. Der Lektor sieht sich meinen Lebenslauf an – den ich mit Maries Hilfe erstellt habe – und runzelt die Stirn. Er deutet auf die Assistenten draußen vor seinem Büro und teilt mir mit, dass die meisten von ihnen an Eliteuniversitäten studiert, einige dort auch
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