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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Clegg
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ihren Doktor gemacht haben, und dass mein akademischer Werdegang und meine Berufserfahrung nicht dazu angetan sind, mir die Tür zu einem Verlagshaus wie diesem zu öffnen. Genau das habe ich befürchtet, und ich vergehe vor Scham. Marie wartet an der Eisbahn auf mich, wo alle Jahre der große Christbaum angezündet wird. Ich lüge sie an und sage, der Lektor habe mich ermutigt; seiner Ansicht nach sei da schon etwas zu machen, nur im Moment nicht. Sie sagt:
Na, siehst du
, und ich stimme ihr bei.
     
    Als wir später einen Kaffee trinken und bei Brooks Brothers eine Besorgung für ihre Mutter machen, fallen mir wieder die Wachleute auf, wie Jahre zuvor mit Miho, und ich bin überzeugt, sie können mir ansehen, was ich selber weiß, auch wenn Marie da einen blinden Fleck zu haben scheint – dass ich nicht hierher gehöre. Dass dieser Ort einem eleganteren, klügeren, gebildeteren und insgesamt vornehmeren Menschenschlag vorbehalten ist. Am Nachmittag steige ich in der Grand Central Station mit dem gleichen Gedanken in den Zug wie an jenem Katertag drei Jahre zuvor: Das ist das letzte Mal. Oder etwa nicht?

Anfang vom Ende
    Den ersten Alkohol – Scotch von seinem Vater – trinkt er im Wald, mit Kenny, aus der Flasche. Sie sind zwölf. Es ist Herbst, ringsum buntes Laub und überall der süßliche Geruch von Moder, von Zerfall. Sie stibitzen die Flasche aus dem Barschrank und laufen mit einer Packung Zigaretten von seiner Mutter und einem Playboykalender, den Kenny in der Apotheke des Nachbarorts geklaut hat, den Holzweg hoch.
     
    Der Whisky schmeckt nicht, aber das komische warme Gefühl in der Brust und das Brennen im Hals gefallen ihm sehr. Er setzt die Flasche nur drei oder vier Mal an, doch das genügt, damit ihm schwummrig wird. Damit er Fuß fasst an einem Ort, wo alles selig verschwimmt. Wo er sich nicht mit hinschleppen muss. Außerdem gefällt ihm die dunkle Seite des Ganzen. Das Verschwinden im Wald. Die heimlichen Vorhaben, das verstohlene Handeln. Das intime Gefühl der Komplizenschaft. Sie kichern, wie sie es immer tun. Kenny verzieht das Gesicht und hört nach einem Zug auf. Sie rauchen gerade mal eine Zigarette und wiehern mehr über die nackten Kalendergirls, als dass sie sie beäugen. Und sie machen so etwas nur noch wenige Male. Die Diebeszüge zum Barschrank seines Vaters fangen damit jedoch erst an. Nur geht er mit der Beute künftig nicht in den Wald, sondern hoch in sein Zimmer, trinkt am Fenster sitzend aus einer rot und orange gestreiften Thermosflasche und lauscht den Grillen draußen oder hört Bob Dylan, Cat Stevens, Neil Young. Vom Lärm unten im Haus bekommt er kaum etwas mit. So geht das, bis er des Studiums halber auszieht.
     
    Die erste Droge, die er nimmt, ist eine Nase Crystal Meth. Das geschieht im Kühlraum eines kleinen Haushaltsmarkts, wo er in der Highschoolzeit und später auch in den Semesterferien jobbt. Der Markt hat bis um zehn Uhr abends geöffnet, man kann dort Sandwiches, Frühstücksflocken, Zigaretten, Benzin und Ähnliches kaufen. Ein Typ namens Max, der da arbeitet, gibt im das Meth. Max ist älter, so etwas wie ein Gaunerjunge samt dealender Freundin; mit ihm hat er sich über Drogen unterhalten und aus Reddi-wip-Dosen inhaliert, seit sie abends dort zusammen arbeiten. Eines Abends bietet Max es ihm an und macht es im Kühlraum zurecht – eine kleine dünne Line auf einer Dose Mozzarella-Sticks und ein zusammengerollter Dollarschein hinter Kisten mit Eiern, Mineralwasser und Halb-und-halb. Es sticht in der Nase, und zunächst merkt er nichts. Dann kommt der Ruck, das speedige Hochgefühl, von dem Max gesprochen hat, und bald will er noch mal.
     
    Sie machen das mit Unterbrechungen jahrelang. Lines legen im Kühlraum, Kunden anrufen, Bier trinken, das er unter dem Tresen lagert. Mal ist es Kokain, mal Meth. Der Unterschied wird ihm nie ganz klar und interessiert ihn auch nicht. Es hilft, die Zeit herumzubringen, und verleiht dem Job eine Spritzigkeit und einen Glanz, die ihn erträglich machen.
     
    Gras kommt ein wenig später, und dann ist es immer da, bis er um die 30 ist. Am College raucht er es beinah täglich, später mit Unterbrechungen, bis es eines Abends komisch schmeckt, ihn kribblig macht und ihm auf den Magen schlägt, und danach reizt es ihn nicht mehr.
     
    Wie er das erste Mal Crack raucht. Diese Geschichte erzählt er nie. Meistens sagt er, er habe es auf einer Party probiert, ein Bekannter, ein befreundetes Pärchen, ein Freund, jemand,

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