Porträt eines Süchtigen als junger Mann
die Terminals durchkämmen. Das Taxi bleibt im Verkehr hängen. In dem Gehupe fühle ich mich eingesperrt und ausgeliefert. Als könnte das Taxi jeden Moment umstellt werden. Ich werfe einen Zwanziger auf den Vordersitz und steige aus.
The Giraffe ist zehn Blocks entfernt. Ich kontrolliere meine Atmung und versuche im Weitergehen etwas lockerer zu werden.
Ruhig
, sage ich mir immer wieder.
Ruhig
. Das Hotel ist leer und riecht nach Ammoniak. Alles ist nagelneu und viel businessmäßiger, als ich mir vorgestellt hatte. Nicht ganz das Richtige. Trotzdem gehe ich zu dem Typen am Empfang und frage nach einem Zimmer. Er ist fröhlich, in den Zwanzigern, und sagt, selbstverständlich. Er bittet um meinen Pass, fängt an, auf seiner Tastatur zu tippen, da tritt eine ältere Frau zu ihm hinter die Theke und sagt, sie macht das schon. Er sieht sie verwundert an und tritt zur Seite, als sie sich meinen Pass vornimmt und schaut, was er eingetippt hat.
Oh
, sagt sie,
wir sind ja ausgebucht
. Der junge Mann will etwas einwenden, bremst sich dann aber.
Wirklich?
, frage ich.
Ja
, antwortet sie,
wir sind bis Ende des Monats ausgebucht
. Ich will etwas sagen, sehe aber ein, dass es nichts zu sagen gibt, drehe mich um und gehe wieder hinaus auf die Straße, die Park Avenue, wo sich der Verkehr in beiden Richtungen staut. Wenn mir SoHo wie eine fremde Landschaft erschienen war, so ist dieses von Stahl und Hektik erfüllte Stück New Yorks das Fremde schlechthin. Keine runden Ecken, kein schattiger Winkel, in dem man Zuflucht fände. Die kalte Märzsonne strahlt überallhin, wird von den fahrenden Autos, den Glaswänden mehrstöckiger Restaurants ebenso zurückgeworfen wie von den Manschettenknöpfen und Aktentaschenbeschlägen perfekt gekleideter Geschäftsleute, die mit leeren Gesichtern zum nächsten Termin marschieren. Ich kehre zur Third Avenue zurück und wende mich nach Süden. Wieder scheint es, als ob die Leute mir Platz machen, ausweichen, zur Seite gehen. Mir fällt ein Traum aus meiner Jugend ein – von einem Picknick im Wald und einer unsichtbaren Macht, die das ganze Essen von den Decken aufsteigen lässt und es hinter die Bäume trägt. Alle – meine Eltern, meine Schwester, Kindheitsfreunde, unsere Nachbarn – finden sich damit ab, dass das Essen verschwindet, aber ich will meine Tüte Cheetos nicht loslassen. Ich bin entschlossen, die Chips zu behalten, und während ich allein gegen die unsichtbare Hand ankämpfe, die sie mir genauso entschlossen zu entreißen versucht, treten alle anderen weg. Der Reihe nach weichen sie an den Rand der Lichtung zurück und überlassen mich mir selbst. Mit Schaudern sehe ich jetzt auf der Third, wie gespenstisch genau die Voraussage in diesem Traum gewesen ist. Ich fühle mich winzigklein und übergroß zugleich. Unersetzlich und unbedeutend. Im Zentrum des Geschehens und am äußersten Rand.
Ich erinnere mich an ein Gebäude, ein Haus mit Sozialwohnungen in der 23rd Street, wo ich einmal Gestalten gesehen hatte, die ich für Junkies hielt. Die Erinnerung blitzt in mir auf wie ein Hoffnungsstrahl. Ich erinnere mich, dass das Haus neben einem Geschäft für Gebrauchtmöbel stand, in dem ich Jahre zuvor nach einem Teppich gesucht hatte. Ich lege einen Schritt zu und wende mich, als ich zur 23rd Street komme, ostwärts Richtung Second. Ich sehe den Gebrauchtmöbelladen und dann das Gebäude. Außerdem sehe ich – wie soll ich mich ausdrücken – Leute wie mich, überall. Sie schlurfen herum. Lehnen an Hauswänden. Schimpfen in Münztelefone. Als hätten sie allesamt orangefarbene Overalls an, so klar erkenne ich sie. Ich stoße die Luft aus und entspanne mich ein wenig. Lehne mich gegen das Gebäude und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Die Wärme tut richtig gut, und es ist schön, nicht mehr laufen zu müssen. Zum ersten Mal an diesem Tag fühle ich mich sicher.
Ein paar Minuten später sehe ich einen Mann, der bei dem verstreuten Haufen vor dem Gebäude etwas zu gelten scheint. Einer bittet ihn um Feuer, ein anderer klopft ihm auf den Rücken. Er pfeift einer Frau mittleren Alters nach, die das Gebäude betritt. An der Art, wie sie lacht, merkt man, dass sie sich kennen. Seine Augen haben etwas Freundliches, aber auch eine gewisse Härte. Er hockt sich nicht weit von mir hin, um eine zu rauchen, und ich gehe zu ihm und sage hallo. Wir unterhalten uns eine Weile. Er scheint mich zu verstehen. Zu wissen, was Sache ist, ohne dass ich es ausspreche. Ich
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