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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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der Geist meines Großvaters Tao noch
durch diese Welt wandert, anders kann ich es mir nicht erklären,
wieso ich ihn immer noch in meiner Nähe spüre. Das ist nicht
nur Einbildung, meine Großmutter Eliza hat es mir durch einige
Beweise bestätigt, wie den Geruch nach Meer, der mich
manchmal einhüllt, und die Stimme, die ein magisches Wort
flüstert: meinen chinesischen Namen.
    »Hallo, Lai-Ming!« begrüßte mich diese außergewöhnliche
Großmutter, als sie mich sah. »Oi poa!« rief ich aus.
Ich hatte dieses Wort
- Großmutter mütterlicherseits in
Kantonesisch - seit jener weit zurückliegenden Zeit nicht mehr
ausgesprochen, als ich mit ihr über einer Akupunkturklinik im
Chinesenviertel von San Francisco lebte, aber ich hatte es nicht
vergessen. Sie legte mir eine Hand auf die Schulter und musterte
mich von Kopf bis Fuß, dann nickte sie billigend und umarmte
mich endlich.
»Ich bin froh, daß du nicht so hübsch bist wie deine Mutter«,
sagte sie. »Das hat mein Vater auch gesagt.«
»Du bist groß, wie Tao. Und Severo hat mir erzählt, du bist
auch so klug wie er.«
    In unserer kleinen Familie wird Tee serviert, wenn die
Situation ein wenig peinlich ist, und da ich mich fast die ganze
Zeit befangen fühlte, machte ich jetzt eben Tee. Dieses Getränk
hilft mir, meine Nerven zu beruhigen. Ich starb vor Verlangen,
meine Großmutter um die Taille zu fassen und mit ihr Walzer zu
tanzen, ihr schnellstens mein ganzes Leben zu erzählen und ihr
die Vorwürfe aufzutischen, die ich jahrelang in mich
hineingemurmelt hatte, aber nichts davon war möglich. Eliza
Sommers ist nicht der Typ, der zu Vertraulichkeiten einlädt, ihre
Würde schüchtert ein, und Wochen mußten vergehe n, ehe sie
und ich zu einem entspannten Gespräch zusammenfanden. Zum
Glück schafften es der Tee und die Anwesenheit von Severo und
Onkel Frederick, der wie ein Afrikaforscher ausstaffiert von
einem seiner Spaziergänge durchs Gelände zurückkam, die
Spannung zu lösen. Kaum hatte Onkel Frederick seinen
Tropenhelm und seine eingefärbte Brille abgenommen und Eliza
Sommers erblickt, änderte sich etwas in seiner Haltung: Er
streckte die Brust heraus, hob die Stimme und spreizte das
Gefieder. Seine Bewunderung verdoppelte sich, als er auf
Koffern und Taschen die Aufkleber der verschiedenen
Reisestationen sah und daraus entnehmen konnte, daß diese
kleine Dame eine der wenigen Fremden war, die bis Tibet
gelangt waren. Ich weiß nicht, ob meine oi poa nur nach Chile
gekommen war, um mich zu sehen, ich vermute, sie war mehr
daran interessiert, ihren Fuß auf die Antarktis zu setzen, wie es
noch keine Frau getan hatte, aber was auch immer der Grund
gewesen sein mochte, ihr Besuch war für mich von
grundsätzlicher Wichtigkeit. Ohne sie wäre mein Leben weiter
von Nebelzonen durchzogen, ohne sie könnte ich dieses
Erinnerungsbuch nicht schreiben. Diese Großmutter gab mir die
fehlenden Stücke, die das Puzzle meiner Existenz
zusammenfügten, sie erzählte mir von meiner Mutter, von dem,
was sich bei meiner Geburt zutrug, und gab mir den Schlüssel
zu meinen Albträumen. Sie war es auch, die mich später nach
San Francisco begleiten sollte, damit ich meinen Onkel Lucky
kennenlernte, einen wohlhabenden chinesischen Kaufmann, dick
und krummbeinig und absolut bezaubernd, und die nötigen
Dokumente zutage förderte, um die losen Enden meiner
Geschichte zu verbinden. Elizas Beziehung zu Severo ist so tief
wie die Geheimnisse, die sie viele Jahre teilten, sie betrachtet
ihn als meinen wahren Vater, denn er war der Mann, der ihre
Tochter liebte und heiratete. Die einzige Funktion von Matías
bestand darin, durch puren Zufall etwas Erbgut beizusteuern.
    »Dein Erzeuger ist unwichtig, Lai-Ming, so was kann jeder.
Severo ist der, der dir seinen Namen gab und sich für dich
verantwortlich fühlte«, versicherte sie mir.
    »Dann war Paulina del Valle meine Mutter und mein Vater,
ich trage ihren Namen, und sie fühlte sich verantwortlich für
mich. Alle anderen sind wie Kometen durch meine Kindheit
gezogen und haben mir kaum eine Spur Sternenstaub
hinterlassen«, gab ich zurück. »Vor ihr waren Tao und ich dein
Vater und deine Mutter, wir haben dich aufgezogen, Lai-Ming«,
erklärte sie mir, und wie recht hat sie doch! Diese Großeltern
hatten so mächtigen Einfluß auf mich, daß ich sie dreißig Jahre
lang wie eine sanfte Gegenwart in mir getragen habe, und ich
bin sicher, daß ich sie für den Rest meines Lebens

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