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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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um die Taille und Schuhe mit Holzsohlen
an, aber seinen Cowboyhut trug er immer dazu. Er hatte nichts
von dem würdevollen Auftreten seines Vaters, nichts von der
zarten Schlankheit seiner Mutter oder der Schönheit seiner
Schwester. Er war untersetzt, kurzbeinig, hatte einen
Quadratschädel und gelbliche Haut, dennoch wirkte er
anziehend durch sein unwiderstehliches Lächeln und seinen
ansteckenden Optimismus, der aus der Gewißheit kam, daß er
für das Glück bestimmt war. Nichts Böses konnte ihm
geschehen, dachte er, ihm waren Glücklichsein und Reichtum
von Geburt an zugesprochen. Diese Gabe hatte er mit neun
Jahren entdeckt, als er auf der Straße mit anderen Jungen fan tan spielte; an jenem Tag kam er nach Hause und verkündete, von
nun an sei sein Name Lucky - statt Ebanizer -, und er antwortete
nicht mehr, wenn man ihn bei dem alten Namen rief. Das Glück
folgte ihm überall, er gewann in allen Glücksspielen, die es nur
gab, und obwohl er rebellisch und verwegen war, hatte er nie
Schwierigkeiten mit den Tongs oder mit den Behörden der
Weißen. Selbst die irischen Polizisten erlagen seinem Charme,
und während seine Kumpels Prügel einstecken mußten, kam er
aus jedem Schlamassel mit einem Witz oder einem
Zauberkunststück davon, einem der vielen, die er mit seinen
wunderbaren Gauklerhänden beherrschte. Tao Chi’en konnte
sich mit der Leichtlebigkeit seines einzigen Sohnes nicht
abfinden und verfluchte den guten Stern, der ihm erlaubte, sich
den Mühen der gewöhnlichen Sterblichen zu entziehen. Nicht
Glück war es, was er sich für ihn wünschte, sondern
Transzendenz. Es beängstigte ihn, zu sehen, daß Lucky
zufrieden wie ein Vogel durch diese Welt ging, denn dadurch
würde er bloß sein Karma verletzen. Tao glaubte, die Seele gehe
durch Barmherzigkeit und Leiden dem Himmel zu, indem sie
durch Edelmut und Großherzigkeit alle Hindernisse überwinde,
aber wenn Luckys Weg immer der einfache war, wie sollte er
sich selbst überwinden? Er fürchtete, sein Sohn würde in seinem
zukünftigen Leben als elender Lump geboren werden. Tao
Chi’en wollte, daß sein Erstgeborener, der ihm im Alter
beistehen und nach seinem Tode sein Andenken ehren sollte, die
edle Familientradition des Heilens fortführte, er träumte sogar
davon, ihn als ersten chinesischamerikanischen Arzt mit Diplom
zu erleben; aber Lucky grauste es vor den übelriechenden
Arzneitränken und den Akupunkturnadeln, nichts stieß ihn mehr
ab als die Krankheiten anderer, und er begriff einfach nicht, wie
sein Vater Geschmack daran finden konnte, eine
Blasenentzündung oder ein mit Pusteln bedecktes Gesicht zu
behandeln. Bis er sechzehn wurde und sein Straßenleben
begann, mußte er Tao Chi’en in der Praxis assistieren, wo der
ihm die Namen der Medikamente und ihre Anwendung
einzuprägen suchte und sich bemühte, ihm so unerklärliche
Künste beizubringen wie den Pulsschlag deuten, die Energie ins
Gleichgewicht bringen, Körpersäfte aufeinander abstimmen,
Feinheiten, die dem Jungen zum einen Ohr herein und zum
ändern hinaus gingen, aber wenigstens verursachten sie ihm kein
Trauma wie die wissenschaftlichen Schriften der westlichen
Medizin, die sein Vater so eifrig studierte. Die Illustrationen von
hautlosen Körpern mit freigelegten Muskeln, Venen und
Knochen sowie die in den grausamsten Einzelheiten
beschriebenen chirurgischen Operationen entsetzten ihn. Es
fehlte ihm nie an Vorwänden, um den Praxisräumen
fernzubleiben, aber er war immer zur Stelle, wenn es darum
ging, eines der unglücklichen Sing Song Girls zu verstecken, die
sein Vater nach Hause mitbrachte. Dieses heimliche und
gefährliche Tun war wie auf ihn zugeschnitten. Keiner verstand
es besser als er, die verängstigten kleinen Mädchen an der Nase
der Tongs vorbeizulotsen, keiner war geschickter, sie aus dem
Viertel zu schaffen, sobald sie sich ein wenig erholt hatten,
keiner einfallsreicher, wenn es schließlich galt, sie in den vier
Himmelsrichtungen der Freiheit verschwinden zu lassen. Er tat
das nicht aus innigem Erbarmen wie Tao Chi’en, sondern
angestachelt von dem Drang, die Gefahr zu bändigen und sein
Glück auf die Probe zu stellen. Bevor Lynn Sommers neunzehn
wurde, hatte sie bereits mehrere Bewerber abgewiesen und war
an männliche Huldigungen gewöhnt, die sie mit der Verachtung
einer Königin zurückwies, denn keiner ihrer Verehrer paßte zu
dem Bild des Prinzen, keiner sagte die Worte, die ihre Großtante
Rose Sommers in

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