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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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zusammen mit den buddhistischen
Übungen ihres Vaters sie schließlich zu der Überzeugung
brachten, Christus sei die Reinkarnation Buddhas. Einkaufen
ging sie allein, ebenso wie zu ihrer Klavierstunde oder wenn sie
ihre Schulfreundinnen besuchte, nachmittags richtete sie sich im
Teesalon ihrer Mutter ein, wo sie ihre Schulaufgaben erledigte
und sich damit vergnügte, immer wieder die romantischen
Geschichten zu lesen, die sie sich für zehn Cent kaufte oder die
ihre Großtante Rose ihr aus London schickte. Elizas
Bemühungen, sie für das Kochen oder irgendeine andere
häusliche Tätigkeit zu gewinnen, waren fruchtlos: ihre Tochter
schien nicht gemacht für die alltäglichen Arbeiten. Als Lynn
heranreifte, behielt sie weiter ihr Gesicht eines Engels aus der
Fremde, aber ihr Körper rundete sich zu verwirrenden Kurven.
Schon seit Jahren waren hübsche Fotos von ihr in Umlauf
gewesen, aber alles änderte sich, als mit fünfzehn Jahren ihre
endgültigen Formen zutage traten und ihr bewußt wurde, welch
zerstörerische Anziehung sie auf die Männer ausübte. Ihre
Mutter, in Angst wegen der möglichen Folgen dieser
ungeheuren Macht, versuchte, den Verführungsdrang ihrer
Tochter zu bändigen, predigte ihr Zurückhaltung und wollte ihr
beibringen, wie ein Soldat zu gehen, nämlich ohne Schultern
und Hüften zu schwenken, aber alles blieb vergeblich: die
Männer jeden Alters, jeder Rasse und Herkunft verdrehten sich
die Hälse nach ihr. Als Lynn die Vorzüge ihrer Schönheit
begriffen hatte, schimpfte sie nicht länger darauf, wie sie es als
Kind getan hatte, und beschloß, Malermodell zu werden - für
eine kurze Zeit, bis ein Prinz auf seinem geflügelten Roß
kommen und sie ins eheliche Glück führen würde. Die Eltern
hatten während ihrer Kindheit die Fotos von
Unschuldsgeschöpfen auf Schaukeln als harmlose Laune
geduldet, aber sie sahen dann doch eine große Gefahr darin,
wenn Lynn vor den Kameras ihre neue Weiblichkeit vorführte.
»Das Posieren ist kein anständiger Beruf, sondern die pure
Verderbnis«, behauptete Eliza betrübt, denn ihr war bewußt, daß
es ihr nicht gelingen würde, ihrer Tochter diese Phantastereien
auszureden oder sie vor der Falle der Schönheit zu beschützen.
Sie trug Tao ihre Besorgnis vor in einem jener vollkommene n
Augenblicke, als sie nach dem Lieben ausruhten, und er erklärte
ihr, jeder Mensch habe sein Karma und es sei unmöglich, das
Leben eines anderen zu lenken, man könne nur bisweilen den
Weg des eigenen berichtigen, aber Eliza war nicht bereit, dem
Unheil zu erlauben, daß es sie unvorbereitet erwischte. Immer
hatte sie Lynn begleitet, wenn sie für die Fotografen posierte,
hatte den Anstand gewahrt - nichts da mit nackten Beinen unter
irgendeinem künstlerischen Vorwand
-, und nun, wo das
Mädchen neunzehn war, gedachte sie ihren Eifer zu verdoppeln.
    »Es gibt da einen Maler, der hinter Lynn her ist. Er will, daß
sie ihm für ein Gemälde der Salome Modell steht«, verkündete
sie eines Tages ihrem Mann.
    »Von wem?« fragte Tao und hob kaum den Blick von seinem
medizinischen Nachschlagewerk. »Salome, die mit den sieben
Schleiern, Tao. Lies die Bibel.«
    »Wenn es etwas aus der Bibel ist, muß es in Ordnung sein,
nehme ich an«, murmelte er zerstreut. »Weißt du, wie die Mode
war zu Zeiten Johannes des Täufers? Wenn ich nicht achtgebe,
malen sie deine Tochter mit nackten Brüsten!«
    »Dann gib acht!« sagte Tao lächelnd, nahm seine Frau um die
Taille, setzte sie auf den Wälzer, den er auf den Knien hielt, und
ermahnte sie, sich nicht von der eigenen Einbildungskraft
ängstigen zu lassen. »Ach Tao! Was machen wir bloß mit
Lynn?«
    »Nichts, Eliza, sie wird bestimmt heiraten und uns Enkel
bescheren.«
»Sie ist doch noch ein halbes Kind!«
»In China wäre sie schon zu alt, um noch einen Bräutigam
abzubekommen.«
»Wir sind aber in Amerika, und sie wird keinen Chinesen
heiraten«, entschied sie.
»Warum nicht? Magst du die Chinesen nicht?« fragte Tao
lachend.
»Es gibt keinen zweiten Mann wie dich auf dieser Welt, Tao,
aber ich glaube, Lynn wird einen Weißen heiraten.«
»Die Amerikaner verstehen nicht zu lieben, wie ich hörte.«
»Vielleicht kannst du es ihnen beibringen«, sagte Eliza, das
Gesicht am Hals ihres Mannes. Unter dem wachen Blick ihrer
Mutter posierte Lynn für das Gemälde der Salome mit einem
Trikot aus fleischfarbener Seide unter den Schleie rn. Aber Eliza
konnte sich nicht mit der gleichen

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