Portrat in Sepia
nach
buddhistischem Ritus geheiratet, aber ihre Verbindung war legal
nicht gültig. Lucky und Lynn waren registriert als uneheliche
Kinder, vom Vater anerkannt. Tao Chi’en hatte es geschafft,
nach unzähligen Formalitäten und mit reichlich
Bestechungsgeldern Bürger der Vereinigten Staaten zu werden,
damit war er einer der wenigen, denen es gelang, die »Akte zum
Ausschluß der Chinesen« zu umgehen, ein weiteres der
diskriminierenden Gesetze Kaliforniens. Er brachte seiner
Adoptivheimat bedingungslose Bewunderung und Treue
entgegen, wie er sie auch während des Bürgerkrieges bewies, als
er den Kontinent durchquerte, um sich an der Front als
Freiwilliger zu melden, und die ganzen vier Kriegsjahre als
Gehilfe der Yankeeärzte arbeitete, aber im tiefsten Innern fühlte
er sich als Fremder und wünschte, auch wenn sein Leben bis
zum Ende in Amerika verlaufen sollte, daß sein Leib in
Hongkong beigesetzt werde.
Eliza Sommers’ und Tao Chi’ens Familie wohnte in einem
geräumigen und behaglich ausgestatteten Haus, das solider und
besser ausgeführt war als in Chinatown üblich. In seiner
Umgebung wurde hauptsächlich Kantonesisch gesprochen, und
alles, vom Essen bis zu den Zeitungen, war chinesisch. Mehrere
Straßen entfernt lag La Misión, das Hispanoviertel, in dem Eliza
gern ein wenig herumschlenderte um des Vergnügens willen,
Spanisch sprechen zu können, aber im übrigen verlief ihr Tag
zwischen Amerikanern in der unmittelbaren Nähe des Union
Square, wo sich ihr eleganter Teesalon befand. Mit ihrem
Gebäck hatte sie von Anfang an zum Unterhalt der Familie
beigetragen, denn Tao Chi’ens Einkünfte landeten zumeist in
fremden Händen: was nicht dahinging, um chinesischen
Arbeitern in Krankheit oder Unglück zu helfen, konnte in den
heimlichen Versteigerungen von Sklavenmädchen enden. Diese
Geschöpfe vor einem Leben der Schande zu retten, hatte Tao
Chi’en sich zur Aufgabe gemacht, und so hatte es Eliza auch von
Anfang an verstanden und als ein weiteres Wesensmerkmal
ihres Mannes gebilligt, einen weiteren der vielen Gründe,
derentwegen sie ihn liebte. Sie hatte ihren Kuchenverkauf
aufgezogen, um ihn nicht mit Bitten um Geld zu plagen; sie
brauchte Unabhängigkeit, um ihren Kindern die bestmögliche
amerikanische Erziehung zu verschaffen, denn sie wünschte,
daß sie sich völlig in die Vereinigten Staaten eingliederten und
ohne die Beschränkungen leben konnten, die den Chinesen oder
den Hispanos auferlegt waren. Mit Lynn gelang ihr das auch,
aber bei Lucky scheiterten ihre Pläne, denn der Junge war stolz
auf seine Herkunft und hatte nicht vor, aus Chinatown
fortzugehen. Lynn betete ihren Vater an - wie sollte man auch
diesen sanften und großzügigen Mann nicht lieben -, aber sie
schämte sich seiner Rasse. Schon als Kind war ihr
klargeworden, daß der einzige Ort für Chinesen ihr Viertel war,
in der übrigen Stadt wurden sie verabscheut. Der Lieblingssport
der weißen Jungen war es, die »Schlitzaugen« mit Steinen zu
bewerfen oder ihnen die Zöpfe abzuschneiden, nachdem sie sie
gründlich verprügelt hatten. Wie ihre Mutter lebte Lynn mit
einem Bein in China und mit dem ändern in den Vereinigten
Staaten, die beiden sprachen nur Englisch und frisierten und
kleideten sich nach der amerikanischen Mode, wenn sie auch zu
Hause Tunika und Seidenhose trugen. Lynn hatte im Aussehen
wenig von ihrem Vater, außer dem langen Knochenbau und den
orientalischen Augen, und noch weniger von ihrer Mutter;
niemand konnte sich erklären, woher ihre seltene Schönheit
stammte. Ihr wurde niemals erlaubt, auf der Straße zu spielen,
wie es ihr Bruder Lucky tat, denn in Chinatown lebten die
Frauen und Mädchen aus anständigen Familien gänzlich
zurückgezogen. Bei den wenigen Gelegenheiten, da sie sich im
Viertel zeigte, ging sie an der Hand ihres Vaters und hielt den
Blick fest auf den Boden gerichtet, um die fast ausschließlich
männliche Menge nicht zu provozieren. Beide erregten sie
Aufmerksamkeit, sie wegen ihrer Schönheit und er wegen seiner
Yankeeaufmachung. Tao Chi’en hatte schon vor Jahren auf den
typischen Zopf verzichtet und trug das Haar kurz und mit
Pomade nach hinten gekämmt, sein schwarzer Anzug war
makellos, das Hemd hatte einen steifen Kragen, der Hut eine
Krempe. Außerhalb von Chinatown bewegte Lynn sich völlig
frei wie jedes weiße Mädchen. Sie besuchte eine von
Presbyterianern geleitete Schule, wo sie die Grundzüge des
Christentums lernte, die
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