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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Beharrlichkeit durchsetzen,
als ihrer Tochter die ungeheure Ehre geschah, als Modell für die
Statue der »Republik« zu dienen, die sich mitten auf dem Union
Square erheben sollte. Die Kampagne zum Aufbringen des
nötigen Geldes war Monate gelaufen, die Leute spendeten, was
sie irgend konnten, die Schüler ein paar Cents, die Witwen ein
paar Dollars, und die Reichen wie Feliciano Rodriguez de Santa
Cruz üppige Schecks. Die Zeitungen veröffentlichten täglich die
am Tag zuvor erreichte Summe, bis genügend beisammen war,
um das Monument einem berühmten Bildhauer zu übertragen,
der für das ehrgeizige Projekt eigens aus Philadelphia geholt
wurde. Die vornehmsten Familien wetteiferten mit Festen und
Bällen, um dem Künstler Gelegenheit zu geben, unter ihren
Töchtern zu wählen; es war bereits bekannt, daß das Modell der
Republik zugleich Symbol von San Francisco sein werde, und
alle jungen Mädchen drängten nach einer solchen
Auszeichnung. Der Bildhauer, ein moderner Mann mit kühnen
Ideen, suchte wochenlang nach dem idealen Modell, aber keins
der Mädchen genügte ihm. Um die mächtige amerikanische
Nation darzustellen, die von tüchtigen Einwanderern aus allen
vier Himmelsrichtungen geformt worden sei, wünsche er eine
Person von gemischter Rasse, verkündete er. Die Finanziers des
Projekts und die Obrigkeiten der Stadt waren entsetzt, die
Weißen konnten sich nicht vorstellen, daß Andersfarbige
wirklich richtige Menschen seien, und keiner wollte von einem
Mischlingswesen hören, das von dem Obelisken auf dem Union
Square aus die Stadt beherrschte, wie es dieser Mensch
verlangte. Kalifornien war zwar Avantgarde in Dingen der
Kunst, fanden die Zeitungen, aber das mit der Mulattin sei doch
reichlich viel verlangt. Der Bildhauer war schon drauf und dran,
dem Druck nachzugeben und sich für die Nachfahrin einer
dänischen Familie zu entscheiden, als er zufällig Elizas Teesalon
betrat, um sich mit einem Schokoladeneclair zu trösten, und
Lynn erblickte. Das war die Frau für seine Statue, nach der er so
lange gesucht hatte: hochgewachsen, wohlgeformt, langgliedrig,
verfügte sie nicht nur über die Würde einer Kaiserin und ein
Gesicht von klassischen Zügen, sie besaß auch das exotische
Etwas, das er sich wünschte. In ihr war etwas, das über
Harmonie hinausging, etwas Einzigartiges, eine Mischung von
Orient und Okzident, von Sinnlichkeit und Unschuld, von Kraft
und Zartheit, die ihn völlig bezauberte. Als er der Mutter
mitteilte, er habe ihre Tochter als Modell ausgewählt, völlig
überzeugt, daß er dieser bescheidenen Kuchenbäckerfamilie
damit eine ungeheure Ehre erwies, sah er sich felsenfestem
Widerstand gegenüber. Eliza Sommers war es satt, ihre Zeit mit
der Überwachung Lynns in den Ateliers der Fotografen zu
vergeuden, deren einzige Arbeit darin bestand, mit der Faust
einen Gummiball zu drücken. Die Vorstellung, stundenlang
neben diesem Männchen zu sitzen, das vorhatte, eine
Bronzestatue von mehreren Metern Höhe zu schaffen, war
einfach zuviel; aber Lynn war so stolz über die Aussicht, Die
Republik zu sein, daß Eliza es nicht über sich brachte, ihr das zu
verweigern. Der Bildhauer hatte erhebliche Schwierigkeiten, die
Mutter zu überzeugen, daß ein kurzer Chiton das in diesem Fall
angemessene Gewand sei, denn sie konnte keine Beziehung
zwischen der nordamerikanischen Republik und der Kleidung
der alten Griechen sehen, aber schließlich einigten sie sich
dahingehend, daß Lynn mit nackten Armen und Beinen, aber
mit keusch bedeckten Brüsten Modell stehen würde.
    Lynn waren die Sorgen ihrer Mutter um ihre Tugend fremd,
sie ging ganz auf in ihren romantischen Phantasien. Abgesehen
von ihrem beunruhigenden Aussehen zeichnete sie sich durch
nichts besonders aus; sie war ein gewöhnliches, alltägliches
junges Mädchen, das Gedichte in Hefte mit rosafarbenen Seiten
abschrieb und Porzellanfigürchen sammelte. Ihre Lässigkeit war
nicht Eleganz, sondern Trägheit, und ihre Melancholie war nicht
voller Geheimnis, sondern schlicht Leere. »Laßt sie in Frieden,
solange ich lebe, wird es Lynn an nichts fehlen«, hatte Lucky
oftmals versprochen, denn er war der einzige, der genau wußte,
wie dumm seine Schwester war. Lucky, einige Jahre älter als
seine Schwester, war Chinese durch und durch. Außer bei den
seltenen Gelegenheiten, wo es um irgendeine Formalität ging
oder er ein Foto von sich brauchte, zog er einen Kittel, weite
Hosen, eine Schärpe

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