Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
den Kampf in die Wüste im Norden zu
verlegen, ein Territorium so öde und unwirtlich wie der Mond,
wo die Versorgung der Truppen sich als Aufgabe für Titanen
erwies. Die einzige Möglichkeit, die Soldaten an die
Schauplätze der zukünftigen Kämpfe zu bringen, war der
Seeweg, aber die peruanische Flotte war nicht bereit, das zu
gestatten. Severo meinte, der Krieg werde zugunsten Chiles
entschieden werden, weil die Organisation und Wildheit seiner
Truppen unschlagbar seien. Nicht nur Bewaffnung und
kriegerische Wesensart würden den Ausgang des Konflikts
bestimmen, erklärte er Eliza, sondern vor allem das Beispiel
einer Handvoll heldenhafter Männer, denen es gelungen sei, die
Seele der Nation zu entflammen.
    »Ich glaube, der Krieg ist bereits im Mai entschieden worden,
Señora, in einer Seeschlacht vor dem Hafen von Iquique. Dort
hat eine uralte chilenische Fregatte gegen eine peruanische
Übermacht gekämpft. Den Oberbefehl hatte Arturo Prat, ein
junger, sehr religiöser und eher schüchterner Kapitän, der sich
nicht an den in Militärkreisen üblichen Besäufnissen und
sonstigen Ausschweifungen beteiligte und sich so wenig
hervorgetan hatte, daß seine Vorgesetzten ihm nicht viel Mut
zutrauten. An jenem Tag wurde er zum Helden, der den Geist
aller Chilenen elektrisierte.« Eliza kannte die Einzelheiten, sie
hatte sie in einem älteren Exemplar der Londoner Times gelesen,
wo der Vorfall geschildert wurde als »eine der glorreichsten
Schlachten, die jemals stattgefunden haben: ein altes hölzernes
Schiff, das schon fast auseinanderfiel, hielt den Kampf gegen
eine vom Land aus feuernde Geschützbatterie und einen riesigen
Panzerkreuzer dreieinhalb Stunden durch und ging dann mit
wehender Flagge unter.« Das peruanische Schiff unter dem
Kommando des Admirals Miguel Grau, auch er ein Held seines
Landes, rammte die chilenische Fregatte in voller Fahrt und
durchbohrte sie mit dem Schiffsschnabel, und das war genau der
Augenblick, den Prat sich zunutze machte, um, gefolgt von
einem seiner Männer, den Kreuzer zu entern. Beide starben
wenige Minuten später auf dem feindlichen Deck, von Kugeln
durchsiebt. Beim zweiten Rammstoß sprangen, ihrem Kapitän
und Anführer nacheifernd, noch mehrere Männer hinterher, und
auch sie endeten tödlich getroffen; zum Schluß waren drei
Viertel der Besatzung tot, bevor die Fregatte versank. So
besinnungsloses Heldentum machte seinen Landsleuten Mut und
beeindruckte seine Feinde dermaßen, daß Admiral Grau immer
wieder verblüfft ausrief: »Teufel, wie diese Chilenen sich
schlagen!«
    »Grau ist ein Ehrenmann. Er hat Prats Degen persönlich an
sich genommen und der Witwe übersandt«, erzählte Severo und
fügte hinzu, seit dieser Schlacht laute die geheiligte Losung in
Chile »kämpfen, siegen oder sterben« wie jene Tapferen. »Und
Sie, Severo, wollen Sie nicht in den Krieg ziehen?« fragte ihn
Eliza.
    »Doch, das werde ich schon sehr bald«, erwiderte der junge
Mann verlegen, ohne selbst zu wissen, worauf er eigentlich noch
wartete, um seine Pflicht zu erfüllen.
    Inzwischen wurde Lynn langsam recht rundlich, ohne auch
nur ein Tüpfelchen ihrer Anmut oder ihrer Schönheit
einzubüßen. Sie hörte auf, ihre gewohnten Kleider zu tragen, die
ihr schon nicht mehr paßten, und gewöhnte sich an die
fröhlichen, in Chinatown gekauften seidenen Tuniken. Sie ging
sehr selten aus, obwohl ihr Vater sie drängte, sich viel zu
bewegen. Manchmal holte Severo sie mit der Kutsche ab und
fuhr sie in den Park oder an den Strand, wo sie spazierengingen,
sich auf eine Decke setzten und eine Kleinigkeit aßen oder
lasen, er seine Zeitungen oder Gesetzesbücher, sie die
romantischen Romane, an deren Handlung sie schon nicht mehr
glaubte, die ihr aber immer noch eine Zuflucht waren. Severo
lebte in den Tag hinein, von einem Besuch bei den Chi’ens zum
nächsten, ohne anderes Ziel als das eine: Lynn zu sehen. Er
schrieb auch nicht mehr an Nivea. Viele Male hatte er schon die
Feder in die Hand genommen, um ihr zu gestehen, daß er eine
andere liebe, aber jedesmal zerriß er die Briefe wieder - er fand
einfach nicht die Worte, mit seiner Verlobten zu brechen, ohne
sie tödlich zu verletzen. Zudem hatte er an Lynn nie welches
Anzeichen auch immer entdeckt, das ihm als Ausgangspunkt
hätte dienen können, sich eine Zukunft gemeinsam mit ihr
vorzustellen. Sie sprachen nicht von Matías, wie der auch
niemals Lynn erwähnte, aber die Frage hing ständig in

Weitere Kostenlose Bücher