Portrat in Sepia
der Luft.
Severo hütete sich, im Haus seiner Tante von seiner neuen
Freundschaft mit den Chi’ens zu reden, von der, wie er annahm,
niemand außer dem vornehmen Butler Williams etwas ahnte,
dem man das nicht extra zu sagen brauchte, denn er wußte es
ebenso, wie er alles wußte, was die Bewohner des Palais taten
oder unterließen. Severo war schon zwei Monate lang erst spät
und mit einem idiotischen Lächeln im Gesicht heimgekommen,
als Williams ihn eines Abends in eine Bodenkammer führte und
ihm im Licht einer Spirituslampe ein in Laken eingehülltes
Bündel zeigte. Als sie es auswickelten, sahen sie eine glänzende
Wiege.
»Sie ist aus gehämmertem Silber, Silber aus den Minen der
Herrschaft in Chile. Hierin haben alle Kinder dieser Familie
geschlafen. Wenn Sie wollen, nehmen Sie sie mit«, war alles,
was er sagte.
Paulina del Valle schämte sich so sehr, daß sie nicht mehr im
Teesalon erschien, sie war einfach nicht imstande, die in
Scherben gegangene lange Freundschaft mit Eliza wieder zu
kitten. Sie mußte auf die chilenischen Leckereien verzichten, die
viele Jahre ihre Schwäche gewesen waren, und sich mit dem
französischen Gebäck ihres Kochs begnügen. Ihre alles
überwältigende Kraft, die ihr immer so nützlich gewesen war,
um Hindernisse beiseite zu räumen und ihre Ziele
durchzusetzen, verwandelte sich jetzt ins Gegenteil; sie fühlte
sich gelähmt, verzehrte sich vor Ungeduld, das Herz klopfte wie
unsinnig in ihrer Brust. »Meine Nerven bringen mich noch um,
Williams«, klagte sie, die zum erstenmal in ihrem Leben
plötzlich eine kränkliche Frau geworden war. Sie überlegte, daß
bei einem untreuen Ehemann und drei verrückten Söhnen
höchstwahrscheinlich eine gute Anzahl illegitimer Kinder ihres
Blutes hier und da herumschwirrten, deswegen brauchte man
sich doch nicht so aufzuregen; trotzdem, diese hypothetischen
Bastarde hatten weder Namen noch Gesicht, diesen einen
dagegen hatte sie direkt vor der Nase. Wenn es wenigstens nicht
Lynn Sommers gewesen wäre! Sie konnte Elizas Besuch mit
diesem Chinesen nicht vergessen, an dessen Namen sie sich
einfach nicht erinnerte; das Bild dieses würdigen Paares in
ihrem Salon peinigte sie. Matías hatte das Mädchen verführt,
weder spitzfindiges Räsonieren noch gesellschaftliche
Übereinkunft konnten diese Wahrheit aus der Welt schaffen, die
ihre eigene Eingebung gleich im ersten Augenblick akzeptiert
hatte. Das Leugnen ihres Sohnes und seine sarkastischen
Bemerkungen über Lynns schwach entwickelte Tugend hatten
ihre Überzeugung nur noch gestärkt. Das Kind, das dieses junge
Mädchen im Leib trug, bewirkte in ihr einen Orkan
zwiespältiger Gefühle, einerseits einen dumpfen Zorn auf
Matías und andererseits eine nicht zu unterdrückende
Zärtlichkeit für dieses erste Enkelkind. Kaum war Feliciano von
seiner Reise heimgekehrt, erzählte sie ihm, was vorgefallen war.
»Solche Sachen passieren dauernd, Paulina, nicht nötig, daraus
eine Tragödie zu machen. Die Hälfte aller Kinder Kaliforniens
sind Bastarde. Das einzig Wichtige ist, einen Skandal zu
vermeiden und fest zu Matías zu halten. Die Familie geht vor«,
war Felicianos Meinung. »Dieses Kind gehört zu unserer
Familie«, beharrte Paulina.
»Es ist noch gar nicht geboren, und schon schließt du es mit
ein! Ich kenne diese Lynn Sommers. Ich habe sie gesehen, wie
sie fast nackt im Atelier eines Bildhauers posierte, wie sie sich
in einem dichten Kreis von Männern zur Schau stellte, jeder von
denen kann ihr Liebhaber sein. Siehst du das denn nicht?«
»Du willst es nicht sehen, Feliciano.«
»Das Ganze kann sich zu einer Erpressung ohne Ende
auswachsen. Ich verbiete dir, mit diesen Leuten auch nur den
geringsten Kontakt zu unterhalten, und wenn sie
hierherkommen, werde ich mich der Sache annehmen«,
beschloß Feliciano kurz angebunden. Von diesem Tag an
erwähnte Paulina das Thema nicht mehr, weder vor ihrem Sohn
noch vor ihrem Mann, aber sie konnte es einfach nicht für sich
behalten und vertraute sich schließlich dem getreuen Williams
an, der sie wohlerzogen wie immer bis zu Ende anhörte und mit
seiner Meinung sowieso zurückhielt, sofern man sie nicht von
ihm verlangte. Wenn sie Lynn Sommers helfen könnte, würde
sie sich ein bißchen besser fühlen, dachte sie, aber dieses eine
Mal war ihr Geld zu nichts nütze.
Für Matías waren diese Monate schrecklich, nicht nur, daß die
Geschichte mit Lynn seine Galle aufregte, auch seine Gelenke
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