Portrat in Sepia
er der einzig Schuld ige an dem Ganzen. Er lief, ihnen
die Tür zu öffnen, und begleitete sie zum Ausgang, wo eine
Mietkutsche auf sie wartete. Ihm fiel nichts ein, was er ihnen
hätte sagen können. Als er in den Salon zurückkam, hörte er nur
noch das Ende der Auseinandersetzung. »Ich dulde nicht, daß es
hier herum von Bastarden meines Blutes wimmelt!« schrie
Paulina. »Entscheiden Sie sich für Ihre Loyalität, Mutter. Wem
werden Sie glauben, Ihrem eigenen Sohn oder einer
Kuchenbäckerin und einem Chinesen?« erwiderte Matías und
ging türenknallend hinaus. An diesem Abend stellte Severo
seinen Vetter zur Rede. Er wußte genug, um sich die
Geschehnisse zusammenzureimen, und wollte Matías durch ein
hartnäckiges Verhör entwaffnen, aber das war nicht nötig, denn
der ließ sofort alles vom Stapel. Er fühle sich in einer
blödsinnigen Situation gefangen, für die er nicht verantwortlich
sei, sagte er; Lynn Sommers habe ihn verfolgt, habe sich ihm
quasi auf dem Tablett überreicht; er habe nie wirklich die
Absicht gehabt, sie zu verführen, die Wette sei nur
Aufschneiderei gewesen. Seit zwei Monaten versuche er, von
ihr loszukommen, ohne ihr Schaden zuzufügen, er fürchte, sie
könne eine Dummheit begehen, sie sei eins von diesen
hysterischen jungen Dingern, die imstande wären, sich aus
Liebe ins Meer zu stürzen, erklärte er. Er gab zu, daß Lynn fast
noch ein Kind war und als Jungfrau in seinen Armen gelandet,
den Kopf voller verzuckerter Gedichte und völlig ahnungslos,
was alles Geschlechtliche anging, aber er wiederholte, er sei ihr
in keiner Weise verpflichtet, nie habe er zu ihr von Liebe
gesprochen und schon gar nicht von Heirat. Mädchen wie sie
brächten immer Komplikationen, deshalb meide er sie wie die
Pest. Niemals habe er sich vorgestellt, daß seine kurze
Begegnung mit Lynn solche Folgen haben könne. Sie seien nur
ein paarmal zusammengewesen, und er habe ihr immer geraten,
hinterher Sitzbäder mit Essig und Senf zu nehmen, er habe ja
nicht ahnen können, daß sie so erstaunlich fruchtbar sei. Auf
jeden Fall sei er bereit, die Ausgaben für das Kleine zu
übernehmen, die Kosten seien das wenigste, aber er denke nicht
daran, ihm seinen Namen zu geben, schließlich habe er keinerlei
Beweis, daß es wirklich sein Kind sei. »Ich werde weder heute
noch überhaupt jemals heiraten, Severo. Kennst du jemanden,
der weniger zum braven Bürger berufen ist als ich?« schloß er.
Eine Woche später begab sich Severo in Tao Chi’ens Praxis,
nachdem er die heikle Aufgabe, mit der sein Vetter ihn betraut
hatte, tausendmal im Kopf um und um gewälzt hatte. Der zhong
yi hatte eben den letzten Patienten des Tages behandelt und
empfing Severo allein in seinem Wartezimmer. Gelassen hörte
er sich sein Angebot an.
»Lynn braucht kein Geld, dafür hat sie ihre Eltern«, sagte er
ohne jede Erregung. »Jedenfalls danke ich Ihnen für Ihre Mühe,
Mr. del Valle.«
»Wie geht es Miss Sommers?« fragte Severo, von der
würdigen Haltung des Arztes beschämt. »Meine Tochter glaubt
immer noch, daß hier ein Mißverständnis vorliegt. Sie ist sicher,
daß Mr. Rodriguez de Santa Cruz sehr bald kommen und sie um
ihre Hand bitten wird, nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus
Liebe.«
»Mr. Chi’en, ich gäbe wer weiß was drum, wenn ich die
Umstände ändern könnte. Offen gesagt, mein Vetter ist nicht
sehr gesund, er kann nicht heiraten. Ich bedaure das unendlich«,
murmelte Severo. »Wir bedauern es noch mehr. Für Ihren Vetter
ist Lynn nur ein Zeitvertreib; für Lynn ist er ihr Leben«, sagte
Tao Chi’en sanft.
»Ich würde Ihrer Tochter so gern eine Erklärung abgeben.
Dürfte ich sie bitte sehen?«
»Das muß ich Lynn fragen. Im Augenb lick will sie
niemanden sehen, aber ich werde es Sie wissen lassen, wenn sie
ihre Meinung ändert«, erwiderte der zhong yi, während er ihn
zur Tür geleitete.
Severo wartete drei Wochen, ohne auch nur ein Wort von
Lynn zu hören, bis er die Ungeduld nicht länger ertrug und in
den Teesalon ging, um von Eliza Sommers die Erlaubnis zu
erbitten, mit ihrer Tochter zu sprechen. Er hatte erwartet, auf
heftigen Widerstand zu stoßen, aber Eliza, in ihren Duft nach
Karamel und Vanille gehüllt, empfing ihn mit der gleichen
Gelassenheit, die auch Tao Chi’en ihm entgegengebracht hatte.
Anfangs hatte Eliza sich die Schuld an dem Geschehenen
gegeben: sie war nachlässig gewesen, war nicht fähig gewesen,
ihre Tochter zu beschützen, und
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