Portrat in Sepia
zusammengeschrumpft, aber mit unverminderter Bösartigkeit.
»Deine Pflicht ist hier, bei mir. Der Krieg ist gut für die
Geschäfte. Dies ist der Augenblick, in Zucker zu spekulieren«,
erwiderte Paulina. »Zucker?«
»Keines dieser drei Länder produziert ihn, und in schlechten
Zeiten essen die Leute mehr Süßes«, versicherte Paulina.
»Woher wissen Sie das, Tante?«
»Aus eigener Erfahrung, Junge.« Severo ging seine Koffer
packen, aber er sollte nicht, wie er vorgehabt hatte, mit dem
Schiff abfahren, das in wenigen Tagen in Richtung Süden in See
stechen würde, sondern erst mehrere Monate später. Am Abend
dieses Tages eröffnete ihm seine Tante, sie müßten einen
seltsamen Besuch empfangen und sie hoffe, daß er dabeisein
werde, denn ihr Mann sei auf Reisen, und diese Angelegenheit
könne den guten Rat eines Anwalts erfordern. Um sieben Uhr
abends ließ Williams mit der frostigen Miene, die er aufsetzte,
wenn er sich genötigt sah, Leute von niederer gesellschaftlicher
Stellung zu bedienen, besagten Besuch ein
- einen
hochgewachsenen, weißhaarigen, in strenges Schwarz
gekleideten Chinesen sowie eine kleine, jugendlich und
nichtssagend wirkende Frau, die aber ebenso hochmütig blickte
wie Williams selbst. Tao Chi’en und Eliza Sommers traten in
den Salon der Bestien, wie er ge nannt wurde, und sahen sich
umgeben von Löwen, Elefanten und anderen wilden Tieren, die
sie aus ihren vergoldeten Rahmen von den Wänden aus
musterten. Paulina traf Eliza häufig im Teesalon, aber sie
begegneten einander sonst nie an anderen Orten, sie gehörten
verschiedenen Welten an. Diesen merkwürdigen Chinesen
kannte sie nicht, er mußte Elizas Mann oder ihr Liebhaber sein.
Sie kam sich etwas lächerlich vor in ihrem Palais mit den
fünfundvierzig Zimmern, und sie in schwarzem Atlas und mit
Diamanten behängt, gegenüber diesem schlicht auftretenden
Paar, das, die Distanz wahrend, die Hausherrin ungekünstelt
begrüßte. Sie bemerkte, daß ihr Sohn Matías die beiden mit
einiger Bestürzung empfing, sie mit einem Kopfneigen
bedachte, ohne ihnen die Hand zu reichen, und sich im übrigen
von der Gruppe fernhielt, sich hinter einen
Palisanderschreibtisch setzte und offensichtlich vom Reinigen
seiner Pfeife völlig in Anspruch genommen wurde. Severo
seinerseits erriet ohne den geringsten Zweifel den Grund, aus
dem Lynn Sommers’ Eltern gekommen waren, und wünschte
sich, er wäre tausend Meilen fern von hier. Paulina, beunruhigt
und alle Fühler auf Alarm gestellt, verlor keine Zeit damit,
Getränke anzubieten, sie machte Williams ein Zeichen, sich
zurückzuziehen und die Türen zu schließen. »Was kann ich für
Sie tun?« fragte sie. Da erklärte Tao Chi’en, unumwunden und
ohne sich zu erregen, seine Tochter Lynn sei schwanger, der
Urheber des Übels sei Matías, und er erwarte die einzig
mögliche Wiedergutmachung. Dieses eine Mal in ihr em Leben
blieb der Matriarchin del Valle die Sprache weg. Sie saß da,
schnappte nach Luft, und als ihr endlich die Stimme wiederkam,
gelang ihr nur ein schwaches Krächzen. »Mutter, ich habe mit
diesen Leuten nichts zu schaffen. Ich kenne sie nicht und weiß
nicht, wovon sie reden!« sagte Matías von seinem
Palisanderschreibtisch aus, seine Pfeife aus geschnitztem
Elfenbein in der Hand.
»Lynn hat uns alles erzählt«, unterbrach ihn Eliza mit
bebender Stimme, aber ohne Tränen, und stand auf. »Wenn es
Geld ist, was Sie wollen…«, begann Matías, aber seine Mutter
unterbrach ihn mit einem wütenden Blick.
»Ich bitte Sie um Verzeihung«, sagte sie, an Tao Chi’en und
Eliza gewandt. »Mein Sohn ist ebenso überrascht wie ich. Ich
bin sicher, wir können dies mit Anstand rege ln, wie es sich
gehört…«
»Lynn wünscht natürlich die Heirat. Sie hat uns erzählt, daß
Sie beide sich lieben«, sagte Tao Chi’en, der ebenfalls
aufgestanden war, zu Matías, aber der antwortete mit einem
Auflachen, das sich anhörte wie Hundegebell.
»Sie scheinen anständige Leute zu sein«, sagte er. »Aber Ihre
Tochter ist das nicht, wie Ihnen jeder meiner Freunde
bescheinigen kann. Ich weiß nicht, welcher von ihnen für das
Unglück verantwortlich ist, aber ich bin es sicherlich nicht.«
Elizas Gesicht hatte alle Farbe verloren, sie war kreidebleich
und zitterte, als würde sie gleich zu Boden sinken. Tao packte
sie fest beim Arm, stützte sie wie eine Schwerkranke und führte
sie zur Tür. Severo meinte vor Betrübnis und Scham zu sterben,
als wäre
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