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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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hielt die Luft an und wartete. Die Silhouette einer Frau tauchte auf, dicht hinter ihr die verschwommene Gestalt eines Mannes. Die beiden küssten sich kurz, wobei ihre Schatten ineinanderflossen, dann trat der Mann ans Fenster und schob den Vorhang beiseite.
    So etwas tue ich nicht, hörte ich meine eigenen Worte, als sich der Mann hinausbeugte und das Fenster schloss. Das hatte ich an jenem ersten Abend in Paziols zu Valsamis gesagt. Und doch war ich hier.
    Aber hätte das nicht jeder andere auch getan? Ein Leben für viele andere Leben?
    Doch als das Gaslicht auf das Gesicht des Mannes fiel und mir endlich bewies, dass es nicht Rahim war, war ich einfach nur erleichtert.
     
    Ein anderer März, Frühjahr 1990. Nach zwei Jahren in Amerika war ich in ein völlig verwandeltes Europa gekommen. Auf der Karl-Marx-Allee im Schatten der verlassenen Wachtürme handelten Ostberliner mit Bruchstücken der Mauer. Auf den Flohmärkten von Prag und Moskau konnten Touristen Uniformen der Roten Armee für den Preis einer billigen Flasche Wodka erwerben. Der Kommunismus stand zum Ausverkauf, und niemand wollte sich sein Stück vom Kuchen entgehen lassen.
    »Da steckt Geld drin«, hatte meine Freundin Martine an meinem ersten Abend in Paris gesagt und mehr als bloße Souvenirs gemeint. Zu diesem Zeitpunkt lag das gesamte Arsenal der Sowjetunion auf dem Wühltisch. Doch während alle nach Osten zogen, reiste ich nach Marseille und weiter an die Südwestküste. Ich redete mir ein, ich wolle die Witterung meines alten Lebens wieder aufnehmen und frühere Kontakte beleben. In Wahrheit suchte ich meinen Vater, war mir aber nicht sicher, ob ich ihn tatsächlich finden wollte.
    Ich litt noch unter einer schmerzhaften Beziehung, wegen der ich in die Staaten gezogen war und später allen Männern abgeschworen hatte. So dachte ich auch noch, als ich eines Abends eine Party bei einem Freund in Marseille besuchte und Rahim durch das Zimmer auf mich zukommen sah. Aber ich wusste genau, dass ich ihm nicht widerstehen könnte, wenn er mich fragte. Und er hatte mich gefragt.
    An jenem ersten Abend verlangte ich jämmerlich wenig. Ich brauchte einen Platz zum Übernachten. Den süßen Trost seines Körpers. Das kühle Vergessen, das der Sex bot. Nicht mehr, als Rahim zu geben bereit war, wenngleich ich selbst noch weniger zu bieten hatte.
    In unseren Kreisen galt es als unhöflich, nach Einkommen oder finanziellem Hintergrund zu fragen, doch ein Blick auf seine Schweizer Uhr und die sorgfältig manikürten Nägel verriet mir, dass Rahim es gut getroffen hatte. Daher war ich auch ziemlich überrascht, als uns das Taxi in das ärmliche, vor allem von Nordafrikanern bewohnte Quartier du Panier brachte und vor einem der namenlosen Einwandererhotels nahe der Place des Moulins absetzte.
    Es war spät, doch in einer Ecke des Platzes hatten sich junge Männer versammelt, um zu rauchen und zu reden. Jemand hatte einen Kassettenrecorder mitgebracht, und der kraftvolle Beat algerischer Rai-Musik brach sich hämmernd an den schlichten Fassaden der umstehenden Gebäude.
    »Les hittistes«, sagte Rahim mit einem Blick auf die Männer und ging die Stufen zum Hotel hinauf. Er merkte, dass ich den Immigrantenslang nicht verstand, und fügte hinzu: »Sie haben keine Arbeit, also sagen wir, sie halten die Wände fest. Tu vois?«
    Ich warf noch einen Blick auf die Gruppe, deren Zigaretten in der Dunkelheit hüpften und zuckten. Mehrere Männer lehnten mit dem Rücken an der Wand, und es sah tatsächlich so aus, als stützten sie das Gebäude ab.
    Das enge Treppenhaus des Hotels roch nach gekochtem Lammfleisch und Gewürzen, nach Garam, Knoblauch und Koriander. Einen Moment lang war ich wieder in Beirut, in den Straßen der Altstadt, die an einen Bienenkorb erinnerten. Durch die geschlossenen Türen drang gedämpftes Arabisch. Die Sprache meines Landes, aber nicht meine, denn bei uns zu Hause sprach man wie in unseren Kreisen üblich nur französisch. Mein Arabisch war ziemlich armselig, und doch lag in diesen Klängen, die exotisch und zugleich vertraut waren, etwas Tröstliches.
    Als wir den Treppenabsatz im zweiten Stock erreichten, ging das Licht aus und tauchte das Treppenhaus in völlige Finsternis. Rahim öffnete die Zimmertür. Durch das offene Fenster drang die Musik herein. Eine Männerstimme erhob sich über die Trommeln.
    »Was singt er?«
    »Ein Protestlied. ›Wo ist die Jugend hin? Wo sind die Tapferen? Die Reichen mästen sich zu Tode, die islamischen

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