Portugiesische Eröffnung
älter geworden, hatte sich aber gut gehalten und trug noch immer den üblichen blauen Blazer mit der eleganten Fliege.
»Nicole Blake«, sagte er. »Mein Gott, ist das lange her.« Er sprach mit dem Akzent der britischen Oberschicht, eine durchaus überflüssige Marotte, da jeder wusste, dass seine Herkunft nicht ganz astrein war. Er küsste mich flüchtig auf beide Wangen, doch ich spürte die Wachsamkeit hinter der herzlichen Fassade.
»Du siehst wie immer wunderbar aus«, sagte ich.
Er tat mein Kompliment mit einer Handbewegung ab und öffnete die Tür. »Amadeo!« Er schob mich hinein. »Sieh nur wer zu Besuch gekommen ist!«
Das Büro war klein und eng, der einzige Schreibtisch mit Papierbergen und überquellenden Aktenmappen bedeckt. Mittendrin stand ein gewaltiger Sessel mit fleckigen Samtpolstern, auf dem der ältere Bruder wie eine Herzoginwitwe auf einer Gartenparty thronte.
»Es ist Nicole«, sagte Gaspar mit lauter Stimme. »Nicole Blake.«
Amadeo beugte sich vor und blinzelte angestrengt. Er war in eine dicke orientalische Decke gehüllt, seine Füße steckten in wollenen Pantoffeln, und seine papierenen Wangen zierten säuberlich geschminkte Kreise aus Rouge. Auf dem Schoß hielt er die Tageszeitung Diário de Notícias.
Zuerst konnte er mich nicht einordnen, doch dann blitzte das Wiedererkennen in seinen Augen auf. »Ja«, strahlte er, »ja, natürlich, Nicki.« Er klatschte in die Hände. »Darauf sollten wir zur Feier des Tages ausnahmsweise anstoßen«, sagte er im gleichen theatralischen Englisch, das auch sein Bruder benutzte. »Das Trinken ist mein Ruin, es war einfach zu viel des Guten.«
»Ich möchte bezweifeln, dass Nicole zum Feiern hergekommen ist«, sagte Gaspar und richtete seinen Blick auf mich. »Oder irre ich mich, meine Liebe?«
Ich schüttelte den Kopf, doch Amadeo wollte sich den Spaß nicht verderben lassen.
»Sei kein Langweiler«, sagte er zu seinem Bruder und deutete auf die Zeitung. »Außerdem müssen wir auf die Türken trinken. Sie haben den Amerikanern gesagt, sie sollen sich verpissen.«
Ich nickte, obwohl ich nichts davon gewusst hatte, und warf einen flüchtigen Blick auf die Zeitung. TÜRKISCHES PARLAMENT STIMMT GEGEN US-TRUPPEN, lautete die Schlagzeile. »Ich glaube, niemand kann die Amerikaner jetzt noch aufhalten«, bemerkte ich. »Noch ein paar Wochen, dann stehen sie in Bagdad.«
Amadeo schüttelte heftig den Kopf.
»Mein Bruder, der unverbesserliche Optimist«, sagte Gaspar mit väterlicher Stimme.
»Ganz und gar nicht«, protestierte Amadeo. »Aber ich bin mir sicher, dass wir, die Bastarde dieser Welt, die Augen offen halten müssen. Immerhin sind wir die Einzigen, die wirklich sehen können, oder?«
»Leider hängt Amadeo dem reichlich irrationalen Glauben an den Sieg des Guten an. Für mich hingegen ist es nur ein kindischer Wettbewerb darum, wer den längsten Schwanz hat. Ich frage mich, ob euer Präsident nicht unter einem Minderwertigkeitskomplex leidet.« Gaspar zwinkerte mir zu. »Ganz anders als euer letzter.« Dann räumte er einen Stuhl für mich frei und setzte sich an den Schreibtisch. Den Drink hatte er wohl vergessen, vielleicht mit Absicht.
»Du lebst jetzt in Frankreich, oder? Ich meine, so etwas gehört zu haben.«
Gaspar räusperte sich und warf seinem Bruder einen warnenden Blick zu.
»O ja«, fuhr Amadeo ungerührt fort. »Marseille. Maison des Baumettes. Dafür braucht man sich doch nicht zu schämen, meine Liebe. Nur ein kleiner Urlaub. Man kann in Ruhe lesen und neue Freunde gewinnen. Wie lange warst du weg?«
»Drei Jahre.«
»Und bist wieder im Geschäft?«
»Sozusagen. Ich habe einen Job bei Solomon angenommen Von irgendetwas muss ein Mädchen ja leben.«
Lügen war zwecklos. In unseren Kreisen verbreiteten sich Gerüchte so rasch, dass die Brüder vermutlich schon Bescheid wussten. Wenn nicht, würden sie es mühelos herausfinden.
»Da hast du recht«, sagte Amadeo freundlich, doch Gaspar zeigte sich weniger nachsichtig.
»Und dieser Besuch?«, erkundigte er sich mit kühlem Lächeln. »So erfreulich die Überraschung auch ist, kann ich mir kaum vorstellen, dass du die weite Reise unternommen hast, nur um zwei alte Männer zu besuchen.«
»Ich hatte in Sevilla zu tun«, versuchte ich mich an einer Lüge. »Da habe ich einen kleinen Abstecher nach Lissabon gemacht.«
»Aus Sentimentalität«, sagte Amadeo.
Ich nickte, um Zeit zu gewinnen. Wie konnte ich interessiert und dennoch gleichgültig wirken? »Es sind
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