Portugiesische Eröffnung
begegnet, hätte sie allerdings kaum als Nachteule eingestuft. Die Tür war so dünn, dass ich ihren Mantel rascheln hörte.
Ich rollte mich herum und wartete, dass sie den Schlüssel ins Schloss steckte, konnte aber nichts hören. Dann ein anderes Geräusch, näher. Wieder Rascheln, Papier auf dem Boden. In meinem Zimmer, da war ich sicher. Ich warf die Decke zurück und stand auf. In dem dünnen Lichtstreifen, der unter der Tür durchdrang, erkannte ich einen weißen Umschlag. Es klopfte, dann verklangen die Schritte lauter und schneller, als sie gekommen waren.
Als ich die Tür öffnete, war niemand zu sehen. Ich hob den Umschlag auf und wollte das Licht einschalten, überlegte es mir aber anders und schaute aus dem Fenster. Gegenüber waren noch einige wenige Zimmer erleuchtet. Irgendwo hinter einer der dunklen Scheiben wartete Valsamis. Und wenn ich wach war, konnte ich davon ausgehen, dass auch er nicht schlief.
Es war sein gutes Recht. Warum sollte er mich nicht beobachten? Trotzdem.
Ich ging ins Bad und schloss die Tür, schaltete das Licht über dem Waschbecken ein, riss den Umschlag hastig auf und holte ein einzelnes Blatt heraus.
Die Nachricht war kurz, mit schwarzer Tinte von Hand geschrieben, doch ich wusste genau, was sie bedeutete. Adamastor, 6.00 Uhr.
Ich legte eine Hand ans Gesicht und spürte, wie erhitzt meine Haut war, wie die Wärme aus meinem ganzen Körper nach oben stieg; es gab nur einen Menschen, der eine solche Nachricht hinterlassen, der sich mit mir bei der Statue des Meeresungeheuers auf dem Miradouro de Santa Catarina verabreden würde.
Rahim.
Es ist schon früher Morgen, als ich in die Wohnung zurückkehre, doch es sind noch mehr Freunde von Rahim gekommen und drängen sich im dunklen Wohnzimmer. Der Fernseher läuft, auf dem Bildschirm entfaltet sich ein unwirkliches Ballett. Dunkler Himmel, die leuchtenden Perlen der Luftabwehrgeschosse, die Skyline von Bagdad überspült vom wässrig grünen Licht der Nachtsichtgeräte.
Es ist passiert, denke ich, die Amerikaner sind endlich einmarschiert. Ich hüte mich, die Männer zu stören, und bleibe eine Weile in der Tür stehen, höre die Nachrichten, die verhaltene Panik der amerikanischen Reporter und ihrer Kameraleute, als Bomben fallen.
Zum ersten Mal schweigen alle. Niemand, nicht einmal Rahim, nimmt meine Anwesenheit zur Kenntnis, und ich glaube schon, er habe mich nicht gesehen. Als ich ins Schlafzimmer gehen will, blickt er auf, zornig, anklagend, und in diesem Moment sieht er in mir eigenes Versagen, das ihn innerlich zerreißt, und alle Schwächen, die ihn von seinem Gott ferngehalten haben. Ich bin jetzt eine von denen. Zwischen uns wird es nie mehr wie früher sein.
Etwas Größeres als Nairobi, dachte ich, als mir Valsamis’Worte durch den Kopf schossen. Ich schaltete das Licht im Badezimmer aus und fischte in meiner Manteltasche nach dem Päckchen Portugués Suaves, das ich auf dem Rückweg vom Hafen gekauft hatte. Nicht zum Rauchen, hatte ich mir gesagt und sagte es auch jetzt. Nur für die Hände, aus alter Gewohnheit.
Ich schloss die Augen und sah wieder die Bilder vor mir. Nicht die Bombenangriffe auf Nairobi, sondern die anderen Bilder, die wir in unseren Träumen sehen, selbst wenn wir sie nicht sehen wollen. Den verschwommenen Rumpf eines Flugzeugs, das nach vorn geschleudert wird. Riesige Feuerzungen. Rauch, der wie ein irrer schwarzer Fluss in den blauen Himmel wirbelt. Und am Fenster eines der Türme eine winzige Gestalt, die verzweifelt eine improvisierte weiße Fahne schwenkt.
Was braucht es, um einen Menschen zu verändern, ihn so weit zu bringen? Konzentrierten Zorn, Zorn in seiner reinsten Form.
Während meiner sechs Jahre im Maison des Baumettes lebte ich unter Frauen, die das Unvorstellbare getan, die ihre Männer ermordet oder ihre Kinder ertränkt hatten. Ungeheuer und auch wieder nicht. Im Grunde war es nicht viel, das diese Frauen von uns anderen – den Fälscherinnen, Junkies und Diebinnen – und den Frauen draußen trennte. Wir alle werden in gewisser Weise von unserem Leben überholt, von den Gletscherkräften Zeit und Familie geformt, bis wir uns selbst nicht mehr erkennen.
Und was war mit meinem Leben? Und Rahims? Da war natürlich Driss. Und der Krieg.
»Wenn du mich verlässt«, hatte Rahim einmal zu mir gesagt, bevor so etwas überhaupt denkbar erschien, »wenn du mich verlässt, werde ich in die Berge heimkehren, zu den alten Berberhirten. Dann würde mich nichts mehr hier
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