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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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aber die Hand an den Hals. Er war verwundet, sein Hemd blutverklebt. Er atmete ganz flach, und ich sah die Panik in seinen Augen.
    Ich half ihm, sich hinzusetzen, und drückte ihm die Jacke gegen den Hals. »Tiens!« Festhalten. Ich konnte seine Angst riechen, seinen säuerlichen Schweiß und Atem. Binnen Sekunden war die Jacke blutdurchtränkt.
    »Schon gut«, sagte ich und wollte es selbst glauben, wusste aber instinktiv, dass es gelogen war. »Alles wird gut.«
    Ich wollte gehen, doch Rahim hielt mich am Arm fest. Sein Griff war unangenehm stark, die Fingernägel bohrten sich in meine Haut. Er holte eine Pistole aus der Tasche und drückte sie mir in die Hand.
    Ich warf einen Blick auf die Waffe, trat in den Türeingang und winkte zum Aussichtspunkt hinüber.
    »Er ist verletzt!«, rief ich in die Dunkelheit. Meine Stimme hallte in der leeren Straße wider, und die Angst kehrte zurück.
    Unten am Fluss tutete ein Nebelhorn, doch vom Aussichtspunkt kam keine Antwort. Der Wind frischte auf und ließ die Palmen erbeben.
    »Wir brauchen Hilfe!«, schrie ich und versuchte, die Verzweiflung in meiner Stimme zu unterdrücken.
    Diesmal kam die Antwort postwendend. Ein zweiter Schuss zischte aus der Finsternis und schlug knapp über meiner Schulter in die Wand. Diese Kugel hatte nicht Rahim gegolten, sondern mir.
    Ich tauchte wieder in den Eingang, hob die Pistole und tastete mit dem Daumen nach der Sicherung.
    Rahim griff wieder nach meinem Arm, und ich kauerte mich neben ihn. Er zitterte, seine Haut fühlte sich kalt und feucht an, er klapperte mit den Zähnen. Er würde hier sterben. Er würde hier sterben, und ich konnte nichts dagegen tun.
    »Die Rechnung«, flüsterte er, holte tief Luft und sammelte Kraft, um zu sprechen.
    »Psst.« Ich legte ihm die Hand auf die Stirn, beugte mich vor und spähte auf die dunkle Straße hinaus. Valsamis konnte uns deutlich erkennen, dessen war ich mir sicher. Vermutlich benutzte er ein Nachtsichtfernrohr.
    »Die Rechnung«, wiederholte er, diesmal lauter, um sich bemerkbar zu machen. »In der Molkerei.«
    »Ich hole uns hier raus.«
    »Nein«, keuchte er und stieß meine Hand weg. »Geh, Nie.«
    Ich schüttelte den Kopf, aber das konnte er nicht sehen. Seine Augen waren auf den Hauseingang gerichtet, auf etwas ganz weit hinter mir.
    »Das Auto«, sagte er. »Die Scheinwerfer.«
    Zuerst verstand ich ihn nicht, glaubte schon, er halluziniere. Doch dann hörte auch ich das Stöhnen eines Motors, der sich bergauf quälte.
    »Die Scheinwerfer«, wiederholte er.
    Ich nickte, verstand plötzlich. Wenn Valsamis ein Nachtsichtfernrohr benutzte, wäre das Auto meine einzige Chance. Die Scheinwerfer konnten mir Deckung geben.
    Wieder spähte ich in die Finsternis und sah die beiden Scheinwerfer auf uns zukommen. Ja, wenn ich dicht hinter dem Auto über die Straße lief, konnte ich es schaffen.
    Ich schaute ein letztes Mal zu Rahim, und er nickte mir auffordernd zu.
    »Danke«, sagte ich. Ich war mir noch immer nicht ganz sicher, was geschehen war. Dann holte ich tief Luft und spannte meinen ganzen Körper an.
    Hier entlang, flüsterte ich, wollte das Auto mit purer Willenskraft zu uns herüberlenken. Die Scheinwerfer beschrieben einen leuchtenden Weg über die Straße bis hin zum Aussichtspunkt und Adamastors Flanken. Der Wagen fuhr am Hauseingang vorbei. Ich sprang hervor und rannte im Schutz des hellen Lichts hinüber. Dann tauchte ich wieder in die Dunkelheit, tief ins wilde Labyrinth von Santa Catarina.

Vierzehn
    Sie lassen dich den Geschmack der Muttermilch vergessen. Das hatte Khalid vor vielen Jahren gesagt, als sie sich in einem der zerstörten Häuser an der grünen Linie, das sie vorübergehend für sich beschlagnahmt hatten, ums Feuer drängten. An jenem Abend verbrannten sie Bücher, um sich warm zu halten. Eine Sammlung französischer Krimis, Simenon und Lenotre, die dem früheren Bewohner gehört hatte.
    Kanj hatte die Wohnung entdeckt. Ein Granatwerfer hatte das Dach über dem Wohnzimmer getroffen und ein klaffendes Loch hinterlassen, um das sich verdurstendes Unkraut angesiedelt hatte, doch der Rest der Wohnung war wie durch ein Wunder unversehrt. Porzellan im Esszimmerschrank und teure Bettwäsche. In der Spüle noch das schmutzige Geschirr vom Frühstück, ein Stück Toast, ein brauner Fleck von getrocknetem Eigelb, all das zeugte von der Geschwindigkeit, mit der der Krieg die Stadt überrannt hatte.
    Normalerweise sprach Khalid nicht über die Zeit im Gefängnis, doch

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