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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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sie noch immer.
     
    Ein passender Treffpunkt, dachte Valsamis, und zog die Ruger aus der Manteltasche. Er prüfte das Präzisionszielfernrohr. Adamastor, der Gott, den der Zorn einer Geliebten in Wind und Stein verwandelt hatte, eine Verkörperung der dunklen, rachsüchtigen Seele der Südpassage und des großen afrikanischen Kontinents. See und Stürme, die sie mit Mann und Maus verschlingen wollten. So jedenfalls hatten es sich die frühen Seeleute ausgemalt.
    Die Dämmerung war noch nicht hereingebrochen, und der Himmel leuchtete kalt, spröde und kahl wie Eis auf Wasser. Die Statue überragte den miradouro wie eine geballte Faust, den Körper in ewigem Zorn gekrümmt. Auf dem Tejo trieb die erste Fähre nach Cacilhas ins leere Vergessen, glitt wie die Lampe eines Nachtwächters von einem Ufer zum anderen.
    Bring ihn um jeden Preis zum Aussichtspunkt. Valsamis erinnerte sich an seine Anweisungen, während er Nicole die Rua Santa Catarina entlanggehen sah. Durch die Linse des Nachtfernrohrs wirkte ihr Gesicht geisterhaft grün. Mehr musste sie nicht tun; den Rest würde er besorgen. Eigentlich konnte nichts schiefgehen und doch so ungeheuer viel. Nicole nahm einen langen Zug, und ihr Gesicht wurde für einen Moment von der glühenden Zigarette beleuchtet. Sie sah aus wie eine Gestalt auf einem flämischen Gemälde.
    Drecksarbeit, dachte Valsamis. Das unterschied ihn von Morrow und den anderen. Die hätten diese Arbeit nicht gemacht. Andererseits war es besser, wenn man sich selbst um solche Dinge kümmerte. Dann konnte man sichergehen, dass keine Fehler passierten.
    Valsamis hockte sich hin, wie er es als Kind in Montana gelernt hatte, wenn er in der Dunkelheit neben seinem Vater kniete, über ihnen die schneebeladenen Äste der alten Ponderosa-Kiefern. Sein Vater hatte ihm die kräftigen Arme um die Schultern gelegt und das Remington-Gewehr abgestützt, das noch zu groß für die Hände des Jungen war.
    »Du musst schnell sein«, hatte sein Vater gesagt, als sie mit dem Lastwagen in die Anaconda-Pintler-Wildnis fuhren. Es war sein einziger Ratschlag gewesen, und das von einem Mann, der gern Ratschläge erteilte. Damals hatte Valsamis es nicht verstanden, doch als sie den ersten Wapiti aufscheuchten, der durch die hüfthohen Schneeverwehungen auf sie zukam, hatte Valsamis sich nicht schnell genug bewegt. Er ließ sich von dem Geschöpf blenden. Und als er sich endlich gefasst hatte, ging der Schuss daneben.
    Selbst nach so vielen Jahren konnte er sich genau an das Gefühl der Niederlage erinnern, als der Wapiti im Unterholz verschwand. Verschreckt von einer Macht, die nicht zu sehen oder zu hören war, dem Geruch, der über den Schnee zu ihm herüberwehte, dem Geruch von gebratenem Ei mit Speck, Whisky und Lucky Strikes, von Valsamis und seinem Vater, dem Gestank der Menschen.
    Danach hatte Valsamis nie wieder im Angesicht des Todes gezögert.
     
    Ich atmete tief ein, sog den Rauch in meine Lungen und betrachtete prüfend den dunklen miradouro. Die Palmen, elegant wie die Finger einer fadista am Hals ihrer Gitarre, und vor ihnen die gewaltige Silhouette des Meeresgottes. Ich werde beobachtet, dachte ich. Von Valsamis, vielleicht noch von anderen. Und dann bewegte sich etwas neben mir im Hauseingang.
    Ich blieb stehen, warf die Zigarette auf den Boden, schaute angestrengt in die Finsternis. Mein Herz hämmerte. »Rahim?«, rief ich leise.
    Alles blieb still. Ich hatte mich wohl geirrt. Noch ein Gespenst wie vor der Pensão Rosa. Dann löste sich ein Gesicht aus dem dunklen Hauseingang, einzelne Züge wurden sichtbar.
    Zwölf Jahre, und doch war mir Rahims Körper so vertraut wie mein eigener, sein Haar, das nach Safran und schwarzem Pfeffer roch, als trüge er den Reichtum Afrikas in sich. Einen Augenblick lang verstand ich, was uns an diesen Ort geführt hatte, die Wunde, die wir all die Jahre in uns getragen hatten. Es ist kein Verrat, mahnte ich mich und wäre dennoch am liebsten davongelaufen.
    Rahim trat auf mich zu, wollte etwas sagen, kam aber nicht dazu. Ein Flüstern in der Luft, wie das Getuschel von Schulmädchen.
    Wir rührten uns nicht. Dann zuckte Rahims linke Hand zum Hals, und ich sah das Blut zwischen seinen Fingern. Die Kugel hatte ihn getroffen.
    »Attention!«, zischte er und riss mich am Handgelenk in den Hauseingang.
    Ich prallte mit dem Rücken gegen die Wand, dass mir die Luft wegblieb. Ich konnte das Blut riechen.
    »Tu es blessé?«, keuchte ich.
    Rahim schüttelte den Kopf, hielt sich

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