Poseidon - Der Tod ist Cool
Kollegen.
„Der Bericht liegt morgen früh auf deinem Tisch.“
Er hatte den Satz noch nicht zu Ende gebracht, als er sich bereits von Frenzel wegdrehte und an die Arbeit machte.
Er war kein Mann vieler Worte.
Frenzel stürzte ohne Verabschiedung die Treppen nach oben. Er begab sich auf schnellstem Wege zurück in sein Büro. Sein Hass trieb ihn an und gewährte ihm keine Atempause.
21. Kapitel
Sein Atem ging schwer.
Schwerer als sonst.
Der Inhalt der DVD brachte Burger an seine Grenzen. Er benötigte drei Anläufe, sie bis zum Ende anzusehen, und selbst dann noch hatte er Mühe, sich nicht zu übergeben. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und verschnaufte. Die vertraute Umgebung seines
Verlieses
, wie er sein Büro liebevoll nannte, versorgte ihn mit der nötigen Kraft, der Wucht dieser bizarren Bilder zu widerstehen - das Rauschen des Abwassers in den Rohren, die sich über seinem Kopf an der Decke schlängelten, die Spinnweben in den Zimmerecken, das Schwarzweißbild der
Allmann Brothers Band
an der Wand. Nicht zu vergessen sein immenser Vorrat an Schokoriegeln in seiner Schreibtischschublade, auch wenn ihm jetzt nicht danach war.
Langsam beruhigte sich sein Kreislauf. Das flaue Gefühl im Magen verschwand. Allmählich fand sein Verstand zur Routine zurück – die Synapsen filterten den Schrecken aus dem Gesehenen und sendeten auf einer erträglicheren Frequenz.
Burger zog sich als erstes zehn Sicherungskopien der Aufnahmen. Danach sah er sich den Film erneut an. Dabei veränderte sich sein Blick. Er betrachtete nicht mehr das gesamte Bild, sondern unterteilte es in einzelne Planquadrate, legte in Gedanken ein Raster darüber. Seine Konzentration tauchte in diese Quadrate hinab. Er sezierte jeden Pixel, der sich zu einem Ganzen auf seinem Bildschirm formierte. Seine Pupillen wanderten wie Spinnen über die Bildpunkte, bildeten mit der Zeit ein immer größer werdendes Netz.
Dieses neu gesponnene Geflecht brachte ihn ans Ziel.
Als Burger seine Arbeit beendete, fiel sein Blick auf den Haufen Abfall neben seinem Computer. Er hatte in den letzten sechs Stunden elf Schokoriegel verschlungen.
Er kratzte sich am Kinn.
Jetzt noch eine Pizza.
22. Kapitel
Gegen Abend gingen die Akten aus Japan dank moderner EDV auf Frenzels E-Mail-Account ein. Sogar die Auflistung der Forschungsmitglieder lag bereits in übersetzter Form vor. Zusätzlich waren die Kontaktdaten des Dolmetschers angehängt. Seine Kollegen hatten mit Hilfe der deutschen Botschaft hervorragende Arbeit geleistet. Frenzel spürte, wie seine Abteilung das Bestmögliche tat, um ihn zu unterstützen. Es rührte ihn.
Frenzel ging die Liste durch. Sie enthielt nicht nur die Namen der Opfer, sondern auch wichtige Informationen aus deren Personalakten, die damals anscheinend in einem anderen Gebäude gelagert wurden und deshalb nicht mit verbrannten.
Insgesamt bestand das Forschungsteam aus sechsunddreißig Personen. Nach Abzug der nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter blieben Neunundzwanzig übrig. Diese hielt er vorerst für nicht relevant. Darüber hinaus klammerte er die Weiblichen aus – die Stimme auf der DVD war männlich und klang nicht überarbeitet oder verfremdet. Somit verkleinerte sich der Kreis auf Fünfzehn.
Aus der Liste ging hervor, dass von diesen Fünfzehn nur neun Leichen eindeutig identifiziert werden konnten.
Mir bleiben sechs Personen.
Sechs potentiell Verdächtige!
Frenzels Handflächen schwitzten vor Aufregung. Nervosität kroch an seinen Gliedmaßen hoch, überzog ihn mit Gänsehaut.
Ihn fröstelte.
Er stemmte sich hastig aus seinem Stuhl und riss die Fenster auf. Sommerabendstimmung flutete sein Büro. Der Anblick des in Feuer gehüllten Horizonts blendete ihn. Frenzel sog die Stille dieses Schauspiels in sich ein. Sie befreite ihn aus seiner Anspannung, gab ihm seine Ruhe, seine Sicherheit zurück.
Die Nacht kratzte bereits an den Häuserwänden, als er das letzte Blatt zur Seite legte. Nachdenklich blickte er in die Dunkelheit hinaus. Er hatte die Augenklappe vom Gesicht genommen. Seine Fingerspitzen klopften unentwegt gegen die vernarbte Höhle seines Schädels.
Einer der Verdächtigen kommt ursprünglich aus dem unmittelbaren Umkreis der Stadt.
Das Pochen hallte in ihm nach, wie die Erkenntnis, die sich aus seinem Instinkt herausschälte.
Sollte es uns der Täter wirklich so leicht machen?
Und wenn ja – warum?
23. Kapitel
Die Felder breiteten sich in einem Meer aus sattem
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