Poseidons Gold
»Und jetzt verschließt du einfach die Augen vor der Wahrheit, Marcus. Ehen können nun mal in die Brüche gehen.« Sie wußte, wovon sie sprach; sie war selbst schon mal verheiratet gewesen. »Wenn es zwischen deinen Eltern anders gelaufen wäre, dann hätte dein Vater bis heute einen ebenso großen Einfluß auf dich und deine Geschwister gehabt wie deine Mutter. Er hält sich im Hintergrund – aber das heißt nicht, daß er das gern tut. Ich sage dir, er sorgt sich immer noch um euch und wacht über alles, was ihr tut …«
»Glaub das meinetwegen, wenn’s dir Spaß macht. Aber verlang nicht von mir, daß ich mich ändern soll. Ich hab gelernt, ohne ihn zu leben, und heute ist es mir gerade recht so.«
»Wie kann man nur so stur sein! Marcus, das hätte für euch beide die Chance sein können, wieder Frieden zu schließen, vielleicht deine einzige Chance …« Helena sah mich flehend an und nahm einen letzten Anlauf: »Weißt du eigentlich, warum er mir diesen Bronzetisch geschenkt hat?«
»Weil er deinen Schneid bewundert und weil du ein hübsches Mädchen bist.«
»Ach, Marcus, jetzt sei doch nicht immer gleich so bissig! Nein, er hat ihn mir extra gezeigt. ›Schauen Sie sich den an‹, sagte er. ›Der ist mir gleich aufgefallen – für Marcus, nur wird er ihn von mir niemals annehmen.‹«
Ich sah noch immer keinen Grund, meine Einstellung zu ändern, bloß weil die zwei hinter meinem Rücken gemeinsame Sache machten. »Helena, wenn du meinst, daß du dich irgendwie mit ihm arrangieren mußt, dann ist das sicher reizend von dir, und es freut mich, daß ihr so gut miteinander auskommt – aber das betrifft nur dich und ihn.« Ich hatte nicht einmal was dagegen, daß Helena und Papa mich manipulierten, wenn ihnen das Spaß machte. »So, und nun will ich nichts mehr davon hören.«
Damit ließ ich sie auf dem Bett des Kellners sitzen, gleich unter dem Amulett, das Epimandos von meinem Bruder geschenkt bekommen hatte. Viel geholfen hatte es dem armen Kerl ja nicht.
Ich stolzierte davon. Vor dem Schankraum mit seinem einzigen stummen Gast gruselte mir noch immer, und darum entzündete ich eine Lampe und stapfte nach oben.
Als erstes warf ich einen Blick in die beiden kleinen Kammern über der Küche, groß genug für spindeldürre Zwerge ohne Gepäck, denen es nichts ausmachte, ihre Freizeit im Flora damit zu verbringen, daß sie auf einem wackeligen Bett saßen und die Spinnennetze zählten.
Die Faszination des Grauens lockte mich schließlich wieder in jenes andere Zimmer.
Man hatte es gründlich saubergemacht und auch die Möbel umgestellt. Die Wände waren jetzt dunkelrot gestrichen, die einzige Farbe, die das, was darunter gewesen war, verdecken konnte. Das Bett stand jetzt nicht mehr neben der Tür, sondern unterm Fenster, und es hatte eine andere Decke. Der Schemel, auf dem Epimandos in der Mordnacht das Weintablett abgestellt hatte, war durch eine Kiefernholztruhe ersetzt worden. Und als dekorative Geste hatte man auf ebendiese Truhe eine große griechische Vase mit einer aufgemalten Krake gestellt.
Diese Vase hatte früher unten im Lokal gestanden. Ich hatte sie immer schon als ein schönes Stück Handwerkskunst bewundert. Aber als ich sie jetzt näher in Augenschein nahm, entdeckte ich am hinteren Rand eine angeschlagene Stelle und einen Sprung. Reparieren lohnte sich vermutlich nicht. Der Besitzer konnte die Vase nur unauffällig irgendwo im Halbdunkel plazieren und sich an der Krake ergötzen.
Ich dachte genau wie Papa.
Und das würde immer so sein.
Trübsinnig legte ich mich aufs Bett.
Helena ertrug es nicht länger, mit mir über Kreuz zu sein, und darum kam sie auch nach oben. Jetzt war sie es, die im Türrahmen stehenblieb. Ich streckte ihr die Hand entgegen.
»Na, wieder gut?«
»Wenn du magst.« Aber sie blieb an der Tür. Vielleicht waren wir wieder Freunde, doch meine Einstellung gefiel ihr nach wie vor nicht. Trotzdem hatte ich nicht die Absicht, sie zu ändern, nicht einmal ihr zuliebe.
Sie blickte sich um und erkannte das Zimmer wieder, in dem der Soldat gestorben war. Ich beobachtete sie schweigend. Angeblich ist Denken nichts für Frauen, aber die meine tat es trotzdem, verstand sich gut darauf, und ich sah ihr gern dabei zu. Helenas klares Gesicht veränderte sich unmerklich, während sie alles um sich her in Augenschein nahm und versuchte, sich die letzten Minuten im Leben des Soldaten vorzustellen und die Wahnsinnstat des Kellners zu verstehen. Das war kein
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