Poseidons Gold
gegen den Wind schützt als in den Mittelmeerländern, spürten wir die Kälte um so mehr. In Rom wird man vom schlechten Wetter immer überrumpelt. Das kleine Kohlebecken im ehemaligen Zimmer meines Bruders kam nicht gegen die frostige Nachtluft an, und bis zur Morgendämmerung wurde es richtig eisig. Wir erwachten beide gleichzeitig, immer noch fest aneinandergeschmiegt.
Helena hatte sich einen Plan zurechtgelegt. »Wenn du diese Marina besuchen gehst, dann komme ich lieber mit.«
Ich hielt es zwar für das Beste für alle Beteiligten, wenn ich allein ging. Aber es schien mir nicht ratsam, diese Ansicht zu äußern.
Marina hatte die Angewohnheit, ihren Mitmenschen so lästig wie möglich zu fallen. (So gesehen paßte sie ausgezeichnet in unsere Familie.) Sie wohnte seit langem gleich hinter der Biegung des Aventin, auf der anderen Seite der Via Appia und fast am Fuße des Caelius, in einer Gasse mit dem klingenden Namen Vicus Honoris et Virtutis – eine Ironie, die wohl keiner Erklärung bedarf. Falls wirklich Ehre und Tugend die Voraussetzung für ein Wohnrecht in dieser Straße gewesen wären, hätten dort alle Häuser leer gestanden.
»Ist sie sehr hübsch?« fragte Helena, als wir nebeneinander in die Gasse einbogen.
»Leider. Festus wirkte auf attraktive Frauen.«
»Du etwa nicht?«
Jetzt wurde es brenzlig. »Ich steh mehr auf Charakter … Aber wenn Schönheit dazukommt, ist das natürlich kein Fehler …« Endlich merkte ich, daß sie sich über mich lustig machte.
Mit der guten Laune war es vorbei, sobald wir Marinas Zweizimmerverschlag betraten. Ich hatte vergessen, wie atemberaubend sie aussah. Helena seufzte leise und gab mir mit einem wütenden Blick zu verstehen, daß ich sie nicht genügend vorgewarnt hätte. Die Sache ließ sich nicht gut an.
Marina war eine kleine, dunkle, heißblütige Venus mit sehr großen, weit auseinanderstehenden Augen, die ständig und sehr aufreizend in Bewegung waren. Die fein geschwungene Nase und die hohen Wangenknochen gaben ihr etwas Orientalisches, was noch durch ihre Gestik unterstrichen wurde; sie hielt es für elegant, beim Sprechen die Handgelenke abzuknicken und theatralisch die Finger zu spreizen.
Früher war sie Perückenmacherin gewesen, zeigte aber heute wenig Neigung, ihre Zeit mit Arbeit zu vertrödeln. Sie hatte ja mich. Nachdem sie sich diesen ehrlichen Trottel an Land gezogen hatte, der zahlte, ohne Gegenleistungen zu verlangen, konnte Marina sich ganz auf ihr Aussehen konzentrieren. Ihre Kavaliere waren mit ihren Anstrengungen höchst zufrieden, wozu sie auch allen Grund hatten. Man hätte das Ergebnis sorgfältiger Pflege einrahmen und an die Wand hängen können. Das Schicksal hatte sich Marina gegenüber ebenso großzügig gezeigt wie ich. Die Herren durften sich an üppigen Kurven und freigebiger Sinnlichkeit ergötzen, an sich schon verlockende Reize, noch bevor sie spitzkriegten, daß die feurige Schöne permanenten Zugriff auf mein Bankkonto hatte.
Ja, auf den ersten Blick war Marina wirklich eine tolle Frau, aber die Ehrfurcht vor dieser göttlichen Erscheinung schwand schlagartig, sobald sie den Mund aufmachte. Sie stammte aus der Gosse und bemühte sich redlich, ihrer Herkunft treu zu bleiben. »Ach, Marcus!« Die Stimme war kratzig wie Sackleinwand. Natürlich küßte sie mich zur Begrüßung. (Ich meine, immerhin bezahlte ich alle Rechnungen.) Hastig trat ich zurück, wodurch allerdings Helena noch mehr Gelegenheit bekam, Marinas blendende Aufmachung und phantastische Figur zu bestaunen. Das Luder tat so, als hätte sie Helena erst jetzt bemerkt. »Seit wann brauchst du eine Anstandsdame?«
»Halt dich gefälligst zurück, Marina! Das ist Helena Justina. Sie sieht in mir einen kultivierten Menschen und glaubt, in meiner Vergangenheit hätte es nur häßliche Mädchen gegeben.«
Marina kühlte merklich ab; sie schien zu spüren, daß sie es hier mit einer ernstzunehmenden Gegnerin zu tun hatte. Helena, im gleichen prächtigen Gewand wie gestern (also immer noch auf ihre Unabhängigkeit bedacht), setzte sich so würdevoll, als ob Marina sie dazu aufgefordert hätte. »Guten Tag. Sehr erfreut, Sie kennenzulernen …« Diese Stimme war ruhig, vornehm und konnte mühelos einen ironischen Ton anschlagen. Marina hatte einen sehr schlichten Humor: nämlich gar keinen. Jetzt wirkte sie ziemlich nervös.
Helena zeigte keinerlei Mißbilligung, was freilich nur den Eindruck verstärkte, sie würde die Situation insgeheim abschätzen
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