Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Traurigkeit und Mutlosigkeit, die sie so hilflos machten.
»Mama! Mama!« Klaus rief aus der Küche, und Beate beeilte sich, den Morgenmantel überzustreifen und ihrem Sohn das Frühstück zu richten.
Klaus hatte sich vorerst beschwichtigen lassen, als Beate ihm eröffnet hatte, dass Julius auf einer wichtigen beruflichen Reise war. Er hatte am Vortag nicht mitbekommen, dass sein Vater weggefahren war. Er hatte in seinem Zimmer über den Modellflugzeugen gesessen und war so ins Basteln vertieft gewesen, dass Beate ihm seinen Abendbrotteller ins Zimmer gestellt und gute Nacht gewünscht hatte. Umso weniger passte es Klaus, dass Julius jetzt nicht da war, um ihn zur Arbeit zubringen. Zwar hatte er Beates Lügen geglaubt, aber dass er damit nicht einverstanden war, erkannte Beate daran, dass Klaus unruhig auf dem Stuhl hin und her rutschte. Sein Nutellabrot aß er nur zur Hälfte. Als der Fahrdienst klingelte, war Beate heilfroh, ihren Sohn verabschieden zu können, er hatte sie noch nervöser gemacht, als sie ohnehin schon war. Zumal sie Klaus nur im absoluten Notfall belog. Ab und an schwindelte sie, wenn es unbedingt sein musste, aber sie fand, dass Klaus ein so reines und unschuldiges Wesen war und es nicht verdient hatte, belogen zu werden. Er selbst konnte nicht lügen, ja, er wusste mit Sicherheit nicht einmal, dass Leute so etwas taten.
Beate starrte den Telefonapparat im Flur an. Sie strich das messingfarbene Deckchen, auf dem er stand, glatt und wollte zum Hörer greifen, als es im selben Augenblick durchdringend klingelte. Verschreckt zuckte sie zurück. Sie brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass jemand anrief, aber dann riss sie den Hörer erwartungsfroh ab, weil sie fest davon ausging, dass es ein Anruf ihres Mannes war.
»Klinger!«
»Beate? Gudrun hier.«
Augenblicklich wurden ihre Beine schwach. Warum rief Julius nicht selber an? Warum Gudrun?
»Hallo? Beate? Kann ich bitte mit Julius sprechen?« Gudrun klang angespannt.
»Aber …«, entgegnete Beate Klinger hilflos, »Julius ist doch gestern aufgebrochen?!«
»Aufgebrochen? Wohin?« Gudrun schien ungeduldig zu sein, das konnte Beate an der herrischen Stimme hören. Ihr Kopf war jetzt ganz leer. Sie war unfähig, darüber nachzudenken, was dieses Telefonat bedeutete.
»Nach Lohdorf. Er ist gestern Nachmittag zu dir aufgebrochen. Mit dem Auto.« Beates Stimme brach beinahe, aber dafür umklammerte sie den Hörer fester, mit der freien Hand stützte sie sich an der Wand ab.
»Zu mir? Aber hier ist er nicht. Was zum Teufel …« Gudrun ließ den Satz in der Luft hängen, denn sie zogen beide die gleiche Schlussfolgerung: Julius war etwas zugestoßen.
»Ich rufe sofort die Polizei an.« Als Beate erkannte, dass Julius ganz sicher etwas passiert sein musste auf dem Weg nach Lohdorf, wichen ihre Angst und Zögerlichkeit. Sie musste aktiv werden. Sie musste handeln, Julius finden, retten.
Gudrun sog am anderen Ende der Leitung die Luft scharf ein. »Das ist keine gute Idee.«
»Warum?« Beate begriff nicht. »Er hat sicher einen Autounfall gehabt, wenn er jetzt irgendwo im Krankenhaus liegt …«
Gudrun unterbrach sie ungeduldig. »Dann hätte sich die Polizei schon längst bei dir gemeldet. Wie ich Julius kenne, fährt er doch nicht ohne Papiere?«
Beate schwieg.
»Eben«, fuhr Gudrun fort. »Das dachte ich mir doch. Wenn es einen Unfall oder Ähnliches gegeben hat, ruft die Polizei umgehend die nächsten Angehörigen an. Wenn sie das nicht getan haben – dann ist ihm wohl auch nichts in der Hinsicht passiert. Und außerdem«, Gudruns Stimme nahm wieder den harten Tonfall an, in welchem sie auch mit Volkmar und ihrer Tochter gesprochen hatte, wenn ihr etwas deutlich missfiel, »was willst du der Polizei sagen? Mein Mann hat einen anderen entführt, und jetzt ist er auf dem Weg zu dessen Versteck?«
Beate fühlte sich aufgefordert, sich zur Wehr zu setzen. »Ichglaube nicht, dass die Polizei da sofort eine Verbindung herstellt.«
»Sofort vielleicht nicht. Aber wenn dieser Heims erst einmal als vermisst gemeldet wird und die anfangen, Nachforschungen anzustellen, dann stoßen sie automatisch auf unsere Namen. Und dann fällt ihnen ganz schnell ein, dass du wegen Julius angerufen hast, der auf dem Weg zu mir war.«
Beate fragte sich, wie Gudrun es schaffte, die Sachen so schnell zu durchdenken. Sie hatte noch gar nicht begriffen, warum Julius verschwunden sein konnte, da hatte Gudrun bereits alle Konsequenzen durchdekliniert. Und
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