Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Weber
Vom Netzwerk:
Oder zu Julius in die Grube geworfen und lebendig begraben?
    In der Tat, dachte Gudrun nun, während sie ihre Geschirrhandtücher bügelte, hatte Harald recht. Was hätte sie mit den beiden getan? Sie einem peinlichen Verhör unterzogen, infolge dessen sich die beiden Jungen gefragt hätten, was sie und Harald in der Nacht an einer tiefen Grube in ihrem Garten taten. Es hätte die Aufmerksamkeit auch auf ihr eigenes Tun gelenkt. Erst recht, wenn sie die Eltern eingeschaltet hätten. Denn den blonden Buben, den hatte Gudrun auch erkannt. Es war der Sohn einer der Frauen aus Annettes schrecklichem Literaturzirkel. Die Frau hätte sich mit Annette über den Vorfall unterhalten, und Gudrun wollte keinesfalls, dass Annette etwas von dem mitbekam, was hier lief. Noch hatte ihre nichtsnutzige Tochter nicht einmal bemerkt, dass sie Besuch von Harald hatte. Annette hatte sich völlig in ihre Einliegerwohnung zurückgezogen – seit sie Gudrun die Treppe hinuntergestoßen hatte. Gudrun war das nur recht. Zwar hätte sie keine Probleme gehabt, Haralds Besuch zu erklären, sie konnte schließlich alte Freunde empfangen, ohnesich vor ihrer Tochter rechtfertigen zu müssen. Aber es war ihr lieber, wenn Harald so unbemerkt wie möglich seine Aufgabe verrichten konnte. Und außerdem fand Gudrun, dass es nur recht und billig war, wenn Annette wegen ihrer Tat Schuldgefühle hatte. Ihre eigene Mutter die Treppe hinunterstoßen! Sie hätte sich das Genick brechen können. Und wer hätte dann für Annette gesorgt? Das führte Gudrun wieder vor Augen, wie lebensuntüchtig ihre Tochter war. Sie bedauerte, dass dieses blöde Stück nicht bei Jürgen geblieben war. Wie hatte sie aufgeatmet, als Annette ihn geheiratet hatte! Warum musste sie zurückkommen? Warum konnte sie nicht dort weitersaufen, bei Jürgen? Als hätte es den gekümmert. Er war doch beschäftigt, mit seiner Klinik und seinen jungen Sprechstundenhilfen. Annette hätte sich bei ihm in Ruhe die Leber kaputtsaufen können, keinen hätte es gekümmert, und sie, Gudrun, hätte jetzt nicht diese Arbeit und den Ärger.
    Das Hemd war fertiggebügelt, und Gudrun hängte es sorgsam auf. Sie schloss den obersten Knopf und zog den Kragen gerade. Das Hemd war aus billiger Baumwolle und verschlissen. Harald war ein armer Mann. Seit er damals aus der Kriegsgefangenschaft gekommen war, hatte er nicht mehr richtig Fuß gefasst. Er war unter falschem Namen zur See gefahren, ein unsteter Geist, immer auf der Flucht.
    Sie erinnerte sich noch gut, wie er vor ihrer Tür gestanden hatte. Abgemagert, verlaust, die Kleider hatten um seinen dürren Körper geschlottert. Wie der Froschkönig war er zu ihr, der Prinzessin, gekommen, um auf die Einlösung ihres Versprechens zu pochen. Aber sie hatte nicht auf ihn gewartet, wie sie es versprochen hatte. Sie hatte bereits einen anderen geheiratet, Volkmar. Ausgerechnet Volkmar. Sie hatte Haralddamals, als er vor der Tür stand, in die Augen gesehen und gewusst, dass es ein Fehler gewesen war, nicht auf ihn gewart zu haben. Sie hatte ihn hereinbitten, ihm zu essen geben und sich ihm erklären wollen, aber ihr Vater war hinzugekommen. Er hatte sie zur Seite gestoßen und lange mit Harald vor der Tür gesprochen. Durch das kleine ovale Fenster – sie hatte nicht gewagt, es zu öffnen, aus Angst, ihr Vater könnte dies bemerken – im Flur der alten Villa hatte sie die beiden beobachtet, und gehofft, dass sie hören könne, was die beiden einander zu sagen hatten. Oder besser: was ihr Vater zu sagen hatte. Denn Harald hatte nicht geredet. Er hatte zu Boden gestarrt und die wütenden Worte über sich ergehen lassen. Ihr Vater, zu Kriegszeiten ein enger Kamerad Haralds, wollte augenscheinlich von dieser Kameradschaft nichts mehr wissen. Er hatte wild gestikuliert und unbeherrscht geredet, und zum Schluss hatte er Harald Geld zugesteckt. Da endlich hatte Harald aufgeblickt, das Geld aus der Tasche geholt und es ihrem Vater vor die Füße geworfen. Dann hatten sie sich durch das Fenster ein letztes Mal in die Augen gesehen, und Harald war gegangen. Wohin, wusste sie nicht. Aber sie hatte eine Vermutung. Sie glaubte bis heute, dass Harald nicht sofort aus Lohdorf verschwunden war. Er hatte sich ganz in der Nähe aufgehalten, denn manchmal, auf dem Weg zum Einkauf oder wenn sie im Garten war, hatte sie geglaubt, seine Silhouette wahrzunehmen. Nie konnte sie mit Gewissheit sagen: »Ich habe ihn gesehen«, aber ihr Gefühl trog sie selten. Ein halbes Jahr später

Weitere Kostenlose Bücher