Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
zuckte zurück, und er verfluchte sich, denn er konnte es sich nicht leisten, sie vor den Kopf zu stoßen.
Sie war an die Wand neben der Tür ausgewichen und sah nun unsicher zu der Neonröhre empor. Statt ihm zu antworten, zeigte sie mit der Hand, in der sie die Flasche hielt, auf das Licht. »Ist das immer an?«
Er nickte.
»Wenn ich gehe, mache ich es aus«, murmelte sie, mehr zu sich selbst. Dann warf sie ihm einen kurzen scheuen Blick zu.
»Möchten Sie, dass ich gehe?«
Er schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln. Er hoffte, es möge gewinnend ausfallen. Nicht zu matt. Ein bisschen leidend, das durfte schon sein. Aber kein Gewinnerlächeln. Sie rutschte mit dem Rücken an der Wand hinunter. Dann hielt sie noch einmal fragend die Flasche hoch: »Und?«
»Gerne.« Er zwang sich dazu. Eigentlich war Alkohol nicht seine Droge. Er hasste es, seinen Kopf nicht klar zu haben. Er war ein Kokser, etwas anderes kam nicht in Frage. Aber darum ging es jetzt nicht. Es ging um sie. Er musste sie für sich gewinnen.
»Vielleicht könnten Sie mir aber noch ein Wasser geben? Ich habe seit heute Mittag nichts mehr getrunken.« Er nahm den leeren Becher und drehte ihn demonstrativ um. Sofort schob sie sich wieder hoch und nahm ihm den Becher ab. Rasch und ohne ihn zu berühren. Sie fürchtete sich, als sei er ein gefährliches Tier an der Kette, dem sie besser nicht zu nahe kam. Sie ahnte nicht, wie recht sie hatte.
Sie schlüpfte aus der Tür, ließ diese aber offen. Er atmete tief ein, als sei das dort draußen eine andere Luft, die Luft der Freiheit. Dabei war es der gleiche abgestandene Kellerdunst wie hier drinnen. Aber für ihn war es ein Zeichen, Licht am Ende des Tunnels. Dass sie sich traute, die Tür seines Gefängnisses offen stehen zu lassen. Er wusste, dass er bald durch diesen Gang an die Oberfläche gelangen würde.
Sie kam zurück, stellte ihm den vollen Becher hin, der ein wenig überschwappte, und zog sich schnell, ohne ihn anzusehen,an die gegenüberliegende Wand zurück. Sie war etwas außer Atem, das hieß, dass sie sich beeilt hatte. Vermutlich, dachte er, weiß ihre Mutter, seine Peinigerin, nichts davon, dass die Tochter ihn besuchte.
Jetzt schenkte sie die zwei Wassergläser voll Weißwein. Ihm fiel auf, dass ihre Hand zitterte. Dann schob sie eines der beiden Gläser über den Betonboden zu ihm rüber. Er nickte. Sofort trank sie von ihrem, in großen Schlucken. Er nippte nur. Der Wein war nicht schlecht. Trocken, aber nicht sauer. Allerdings hatte er keine Ahnung davon. Dann sah sie ihn an. Ihre Augen waren glasig.
»Sie wussten nicht, dass ich hier unten gefangen bin?«, fragte er, um ihr eine Brücke zu bauen.
Sie schüttelte den Kopf, sah ihn an, dann trank sie erneut. Er wusste nicht weiter. Am liebsten hätte er sie angebrüllt, ihr seinen ganzen Hass und seine Wut entgegengeschleudert. Er wollte hier raus, und er würde dafür töten, stattdessen saß er diesem Wrack gegenüber und musste Konversation machen. Weil sie die einzige Hoffnung auf Freiheit war, die er im Moment hatte. Fieberhaft suchte er in seinem Kopf nach einem Gespräch. Er musste diese Sache am Laufen halten, sonst würde sie wieder weggehen. Und wer weiß, wie lange er dann warten müsste, bis sie wiederkam. Aber sie befreite ihn von seinen Überlegungen und kam ihm zuvor.
»Werden Sie vermisst?« Jetzt sah sie ihm direkt in die Augen. Sie war neugierig. Sie wollte ihn kennenlernen, etwas von ihm erfahren, von seinem Leben. Er überlegte kurz, ob er sie anlügen sollte. Dass er eine Frau hatte und zwei Kinder, die auf ihn warteten. »Nein. Mich vermisst niemand.«
Sie schien zu überlegen, bevor sie ihm die nächste Frage stellte. »Warum wollen Sie dann zurück?«
Er war perplex. Wie war das gemeint? Ob sie allen Ernstes annahm, dass sein Leben nichts wert war, nur weil niemand auf ihn warten würde? »Ich verstehe Sie nicht.«
»Warum …«
»Ja«, schrie er und hatte sich nicht mehr unter Kontrolle, »ja, ich will zurück! Ich will raus hier! Raus!«
Sie presste sich mit dem Rücken noch fester an die Wand, ihre Augen waren aufgerissen, aber, jetzt fiel ihm das erst auf, die Pupillen waren winzig klein. Sie griff zur Flasche, und er dachte, dass sie aus dem Keller gehen würde, also kochte er sich runter, holte Luft und schüttelte resigniert den Kopf. »Sorry. Sorry, tut mir leid, aber ich bin so …, ich kann nicht mehr.«
Sie rührte sich nicht, saß wie erstarrt an der Wand, die Hand am
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