Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Leben in ihn zurückkehrte. Seine Stärke. Er liebkoste mit dem Wasser seinen sehnigen Körper, er bewunderte seine Muskeln und dachte, wie sehr er sich liebte und wie verwerflich es gewesen war, nicht an sich zu glauben. Er war mächtig, er war stark, er war ein Tier. Bei dem Gedanken an seine Kraft und Potenz bekam er eine Erektion, und wenn er sich der Gegenwart des weiblichen Wracks da draußen nicht so sehr bewusst gewesen wäre, hätte er sich mit Freuden einen runtergeholt. Als er alles Wasser aus der Schüssel verspritzt und jede Pore seines Körpers gereinigt hatte, jedenfalls die Stellen, die er mit der freien Hand erreichen konnte, setzte er sich im Schneidersitz auf das große Handtuch, wickelte es so um seine Lenden, dass es seine Genitalien verbarg, und stieß ein tief befriedigtes Grunzen aus. Ein weiterer Schritt in die Freiheit war getan, dessen war er sich ganz sicher.
Keine zwei Minuten später öffnete sich vorsichtig die Kellertür, und sie trat ein. Sie hatte also draußen gewartet und gelauert, dachte er. Sie konnte nicht von ihm lassen, sie war fasziniert von dem Tier im Keller.
Lächelnd nahm sie die Schüssel an sich und vermied esängstlich, auf das weiße Handtuch um seine Lenden zu starren. Sie sammelte auch seine Hose, seine Unterhemden und seine Socken ein.
»Soll ich das für Sie waschen?«
Er lächelte sie an. »Verbrennen Sie es.«
Sie sah ihn an, und er bemerkte das matte Glänzen ihrer Augen. Sie hatte schon wieder getrunken. Außerdem war sie seltsam verlangsamt, also hatte sie vermutlich auch Pillen eingeschmissen. Mit dem benebelten Hirn konnte sie seine Antwort nicht einordnen.
»Wenn Sie denken, dass ich das hier überlebe, dann dürfen Sie mir gerne etwas Neues besorgen. Falls nicht – auch gut. Dann brauche ich keine Klamotten mehr. Warm genug ist es ja hier unten.«
Ihre Lippen begannen zu zittern. Er hoffte, dass sie nicht in Tränen ausbrechen würde, sie war nah dran.
»Ich befreie dich«, flüsterte sie. »Ich hole dich hier raus.«
Dann verschwand sie schnell und huschte aus der Tür, ohne noch einmal einen Blick auf ihn zu werfen.
Am liebsten hätte er laut gebrüllt. Er wusste nun, er würde siegen. Nicht allein, dass er aus dem Keller herauskam. Er würde seine Peiniger vernichten.
17.
Als Harald gegen sechs Uhr abends noch immer nicht zurückgekommen war, musste sie den Schritt selber tun und in den Keller gehen. Sie war schockiert gewesen über den Anblick des Mannes. Er hatte im Schneidersitz auf seiner Matte gesessen, nackt. Er hatte sie angegrinst, aber kein Wort mit ihr geredet. Auf die Frage nach seiner Bankverbindung hatte er selbstverständlich nicht geantwortet, und weil sie sich keine Blöße geben und Schwäche zeigen wollte, hatte sie sich schweigend zurückgezogen. Kein Wasser und kein Essen mehr. Wenn Annette sich so hingebungsvoll um ihn kümmerte, dann sollte sie es doch ganz übernehmen. Gudrun hätte gerne gewusst, wie es dazu gekommen war, dass sich der Gefangene seiner Kleider entledigt hatte. Bestimmt nicht, weil ihre Tochter so überaus attraktiv war. Sie schnaubte. Sie musste aufpassen, Annette war unberechenbar. Sie würde sie ermahnen müssen. Es ging schließlich auch um Annettes Vermögen. Um ihr Geld und ihr Haus. Gudrun musste sich versichern, dass sie die Schlüssel für die Handschellen noch in ihrem Versteck hatte. Sie stand auf, verschloss die Küchentür und breitete eine alte Zeitung auf dem Tisch aus. Darauf schüttete sie den guten Bohnenkaffee. Zum Schluss, ganz unten, rutschten auch die beiden kleinen silberfarbenen Schlüssel heraus. Zufrieden warf sie diese in die Dose zurück, dann rollte sie die Zeitung zu einer Spitztüte und füllte das kostbarePulver wieder ein. Das Versteck kannte niemand, nicht einmal Harald hatte sie es anvertraut. Weitere Schlüssel gab es nicht.
Aus dem Schlafzimmer holte sie den schweren Leitzordner mit der Aufschrift »Magna-Invest« auf dem Rücken. Hier hatte sie alles gesammelt, was es zu diesem Thema gab, seit Volkmar diesem Banker ihr Geld in den Rachen geschmissen hatte. Korrespondenz und Kontoauszüge, Zeitungsartikel, ihre Notizen. Hier würde sie auch die Bankverbindung finden, über die sie Geld überwiesen hatten. Er brauchte den Mund gar nicht aufmachen, ihr nichts offenbaren. Sie würde alleine draufkommen, welche Bank der Mensch hatte. Morgen würde sie dann in die nächste Filiale fahren und Überweisungsträger besorgen.
Gudrun von Rechlin war mit sich zufrieden. Am
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