Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
schuf, damit er nicht aus der Bahn geriet. Beate tat die Strumpfrolle wieder an ihren Platz zurück, als sie ein Stück Papier unter den Strümpfen bemerkte. Sie zog es hervor und erstarrte. Es war eine Rechnung für Handschellen. Gekauft vor zwei Monaten. Sie wusste, wo diese Handschellen sich jetzt befanden. Sie umschlossen das wundgescheuerte Handgelenk eines hilflosen Mannes in Gudrun von Rechlins Keller. Beate ging in die Küche, holte eine große Plastiktüte und räumte die oberste Schublade der Wäschekommode ihres Mannes aus. Sie war gewiss, Julius würde diese Kleidungsstücke nicht mehr brauchen. Entweder weil er tot war, oder weil er ins Gefängnis gehen musste. Und sie hätte im Moment nicht gewusst, welche der beiden Möglichkeiten ihr lieber wäre.
*
Heute Morgen war Harald schon vor dem Frühstück verschwunden. Sie war davon wach geworden, dass er sich in der Küche einen Kaffee gekocht hatte, da war es fast noch dunkel gewesen. Er schlief nicht mehr bei ihr im Bett. Es tat ihr körperlich weh, wenn sie daran dachte, wie er neben ihr gelegen hatte. Sie war es nicht gewohnt gewesen, dass jemand neben ihr lag. Sosehr sie Volkmar verachtet hatte, zum Schluss, und wie sehr er sie auch angewidert hatte, sie hatte schnell gespürt, dass ihr die Gesellschaft im Bett fehlte. Nichtdas Sexuelle, das hatte naturgemäß zwischen ihr und ihrem Ehemann keine Rolle mehr gespielt. Auch nicht das Schnarchen, das Deckewegziehen oder die kleine Erschütterung, wenn Volkmar, der zierliche, sich im Bett von einer Seite auf die andere warf. Nein, es war die Wärme, die bloße Gegenwart eines lebenden Körpers, die die tröstliche Gewissheit barg, nicht allein auf der Welt zu sein. Gudrun hatte bloß die Hand auszustrecken brauchen, manchmal tat sie das unbewusst im Schlaf, um den Menschen auf der anderen Seite des Bettes anzufassen, seine trockene Haut, so dass sie beruhigt wieder weiterschlafen konnte, wissend, dass sie nicht vereinsamte. Dieses Gefühl war mit Harald jäh in ihr Leben zurückgekehrt, und jetzt spürte sie voller Trauer, was sie die vergangenen Jahre vermisst hatte.
Aber als sie gestern Nacht aus der Garage zurückgekommen waren, hatte Harald sich, ohne dies zu kommentieren, auf das kleine Sofa gelegt, worauf er der Länge nach gar nicht passte. Er war fast neunzig, aber er nahm die unbequeme Schlafgelegenheit lieber hin, als mit ihr in einem Bett zu liegen. Dann sollte er doch fahren!
Wütend warf Gudrun die Kartoffeln in die Spüle, bevor sie sie unter kaltem Wasser mit der Wurzelbürste sauber schrubbte. Sie ärgerte sich, dass sie ihm das Geld angeboten hatte. Natürlich würde er jetzt nicht nach Ungarn zurückgehen. Nicht bevor er das Geld hatte. Das hatte sie sich selbst eingebrockt. Aber es überstieg ihre Kraft, ihn auch noch loswerden zu müssen. Sie hatte Beate vertrieben, und Julius war nun endlich aus dem Weg. Die Sache mit Annette machte ihr Sorgen, gestern war sie schon wieder unten im Keller gewesen. Ihre Tochter redete nicht mehr mit ihr, was ja auch kein Wunder war, auch für sie war es kein Verlust, aber das bedeuteteauch, dass sie Annette nicht mehr kontrollieren konnte. Gudrun hoffte nur inständig, dass Annettes Vorrat an Alkoholika und Tabletten noch so lange reichte, bis sie das Geld von Heims hatte. Annette durfte ihr nicht in die Quere kommen. Und wenn sie das Geld hatte, dann musste sie sich Gedanken um Heims machen.
Sie drehte das kalte Wasser ab. Das war der schwache Punkt ihres Plans. Ursprünglich hatten sie und Julius stillschweigend gehofft, dass sie das Geld an sich bringen und den Banker danach so unter Druck setzten könnten, dass sie ihn lebend freiließen. Sie hatten sich vorgestellt, dass dieser so froh sein würde, mit dem Leben davongekommen zu sein, dass er auf eine Anzeige verzichtete. Erst Harald hatte ihr vor Augen geführt, wie naiv diese Vorstellung war. Dieser Heims war mit allen Wassern gewaschen. Er hatte kein Problem gehabt, Hunderte von Anlegern um ihr Erspartes zu bringen, warum sollte er sich von den Drohungen zweier klappriger Rentner einschüchtern lassen? Sie musste ihn töten. Harald würde diese Aufgabe nicht für sie erledigen, das hatte er sie deutlich wissen lassen.
Gudrun setzte das Wasser für die gewaschenen Kartoffeln auf und tat Lorbeer, Kümmel und Salz hinein. Dann nahm sie sich einen Zettel und notierte die nächsten wichtigen Schritte. Sie musste ein Papier erstellen, worin Hans Günther Heims erklärte, dass er ihr, im vollen
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