PR 2661 – Anaree

Titel: PR 2661 – Anaree Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton

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Vorgaben!
    »Es ist genug!«, rief die Morgenschwester. In ihrer kindlichen Stimme schwang Panik.
    Sie stand inmitten der Zerstörung, als wäre sie nicht Teil der Szenerie, unangreifbar für die Kraft der Projektionskörper.
    Die Wut der fünf Mimen steigerte sich ins Unendliche. Ihre goldenen Strahlen verknüpften sich zu einem Käfig, der die Morgenschwester einhüllte. Die Morgenschwester war plötzlich wie gelähmt, stand einfach nur da und starrte ins Leere. Ihr Mund öffnete und schloss sich schnell, als führe sie ein Gespräch, doch kein Ton drang über ihre Lippen.
    Anaree wurde klar, dass sie eine Entscheidung treffen musste, und zwar schnell. Denn die Schauspieler – die beseelten Projektionen, die Geisteswesen – wandten sich nun gegen die Göttin des Tagvolks. Sie umkreisten sie und näherten sich langsam dem Käfig.
    Der Kanzler verzog das Gesicht zu einem hässlichen Grinsen. »Zu mehr sind die Hohen Mächte nicht imstande? Um im Jargon zu bleiben – das ist ein Trauerspiel!«
    Zwischen dem Käfiggitter entstanden Bilder. Die Morgenschwester warf sich herum, sah sich gehetzt um.
    Die Tochter des Tagvolks konnte nicht länger warten. Sie rotierte mit dem Hypergespinst des Kampfkokons in den Normalraum und stülpte sich über den Hofnarren, der der Morgenschwester am nächsten stand.
    Und erlebte etwas, auf das sie keine einzige Trainingseinheit vorbereitet hatte.

    *

    Es war völlig anders als sonst, wenn sie ein Opfer in den Hyperraum abstrahlte. Sie hatte Gommrich Dranat erfasst, gleichzeitig aber auch nicht. Seine Essenz, das, was ihn ausmachte, war schlüpfrig und entglitt ihr.
    Anaree konnte es sich nicht erklären, aber das, was den Hofnarren auszeichnete, lebendig machte, kehrte zu seinem Ursprung zurück.
    Zu Orsen Tafalla.
    Eine Projektionsgestalt!, dachte Anaree, als würde das alles erklären.
    Gleichzeitig lösten sich die drei anderen beseelten Schauspieler auf, als wären sie nur Trugbilder ihrer Phantasie gewesen, oder Holos, die nun abrupt zusammenbrachen. Einzig Orsen Tafalla blieb bestehen.
    Der Kanzler stand wie erstarrt da. Seine Züge zeigten nichts mehr von der überheblichen Selbstsicherheit, die er gerade noch an den Tag gelegt hatte. Angst flackerte auf ihnen und verzerrte sie.
    Er kann mich nicht wahrnehmen und hat Angst um sein Leben!, dachte Anaree.
    Sie zögerte nicht länger, rotierte und stülpte sich über ihn.
    Doch da war nichts mehr. Sie konnte weder den Projektionskörper noch dessen geistige Essenz erfassen. Tafalla war in Panik zurückgeschreckt, hatte sich zur Flucht gewandt.
    Anaree rotierte in den Normalraum und lief zur Morgenschwester. Die Göttin des Tagvolks stand noch immer da wie zuvor, doch ihr Blick wirkte nicht mehr so leer. Leben und Bewusstsein schienen langsam in ihn zurückzukehren.
    Sie waren noch immer in Gefahr. Der mächtige Orsen Tafalla konnte jeden Augenblick seine Fassung zurückgewinnen und einen zweiten Angriff versuchen, diesmal vielleicht auf geistiger Ebene.
    Im nächsten Moment materialisierte ein leerer Fensterrahmen direkt vor der Morgenschwester. Die LEUCHTKRAFT hatte es geschafft, trotz der Erschütterungen in der Raum-Zeit-Struktur für sie ein UHF-Fenster zu schalten.
    Sie stürzte sich gleichzeitig mit Anaree kopfüber hinein, erhob sich in einer pantherhaft eleganten Bewegung und landete zwei Sprünge später inmitten der steinernen Kaverne, der Zentrale der LEUCHTKRAFT.
    Dort herrschte lähmendes Entsetzen. Offensichtlich war die Besatzung des Beiboots noch nie in einer Situation gewesen, in der sie um das Leben der Morgenschwester hatte bangen müssen – oder fünf Androiden ohne den Hauch einer Chance im Kampf gefallen waren.
    Und die Morgenschwester war in höchster Gefahr gewesen. Sie wirkte noch immer benommen, sprach stockend und bewegte sich schwerfällig.
    Anaree fragte sich, was auf der Bühne geschehen war. Wieso war die Göttin des Tagvolks plötzlich wie gelähmt gewesen?
    Die Morgenschwester atmete einige Male durch und setzte sich dann auf ihren Sessel.
    »Wo sind deine Helfer?«, fragte eine mächtige mentale Stimme. »Wo ist deine Besatzung?«
    Anaree glaubte zu sehen, wie sich die marmorschwarzen Augen der Göttin des Tagvolks einen Moment lang verschleierten. »Tafalla hat sie getötet, DAN.«
    »Das ist nicht gut«, antwortete der Bordrechner.
    »Ich weiß«, gab sie zurück. »Sie sind wichtige Bezugspunkte und sollen in ihrer Integrität geschützt werden.«
    »Ganz recht.«
    Die Morgenschwester