PR 2667 – Der Diplomat von Maharani
der Arzt, der gleichzeitig ein Priester war.
»Schlecht. Oder gut. Wie man es nimmt. Ich benötige bloß den Glauben an mich selbst.«
»Selbst in diesen Tagen, da es um das Leben deines Sohnes geht?«
Joschannan schwieg. Er hatte keine Lust, sich auf eine Grundsatzdiskussion über Glauben oder Ethik einzulassen. Und schon gar nicht, wenn diese Fragen mit Caio in Zusammenhang gebracht wurden.
»Ihr haltet Himmelsbestattungen ab«, sagte er. »Auf Türmen des Schweigens. Auf kreisrunden Turm-Dachmas werden eure Toten aufgebahrt und Raubvögeln zum Fraß angeboten.«
»Eine derartige Beschreibung und noch dazu aus deinem Mund kling obszön.« Khalai schüttelte verärgert den Kopf.
»Es tut mir leid, sollte ich nicht die richtigen Worte finden. Aber es ist mir wichtig, mehr über dieses Ritual zu wissen. Und zwar von dir.«
»Warum?«
»Es gibt ein gewisses Problem mit den Sayporanern«, sagte Joschannan und bemühte sich, seine Stimme nicht zittern zu lassen. »Sie sind möglicherweise davon abhängig, an einem eurer Rituale teilnehmen zu können. Und es stellt sich die Frage, ob du dem hippokratischen Eid, alles zu tun, um Lebewesen zu retten, etwas abgewinnen kannst.«
*
Es folgten lange Diskussionen und Streitigkeiten. Arun Joschannan hatte sich so gut wie möglich darauf vorbereitet, doch es war abzusehen, dass Khalai weitaus besser argumentieren konnte, sobald sie sich auf dem glatten Parkett ethischer Fragen bewegten.
Arun hatte in zoroastrischen Schriften keinerlei Hinweise darauf gefunden, dass die zur Himmelsbestattung freigegebenen Toten der Glaubensgemeinschaft nicht auch an andere Lebewesen übergeben werden durften. Doch der Arzt und Priester fand Dutzende, womöglich Hunderte.
Er verlor sich in Spitzfindigkeiten, argumentierte mit Textstellen, die er aus Büchern seiner Privatbibliothek hervorholte. Er redete von Unvereinbarkeiten und von Grenzen, die er nicht zu überschreiten gedachte. Er gab sich wütend, um dann wieder nachdenklich zu wirken und gleich darauf gegen Joschannans Meinung zu argumentieren.
Wie passte das bloß zusammen: ein Arzt, der zugleich ein hohes Priesteramt innehatte? Faroz Khalai musste wohl Tag für Tag, Minute für Minute gegen seine eigenen Überzeugungen ankämpfen.
Joschannan winkte ab. Er war müde. »Schluss jetzt! Wir kommen nicht weiter. Ich habe andere Dinge zu erledigen, und so leid es mir für die Sayporaner tut – vonseiten der Parsen haben sie wohl nichts zu erwarten.«
»Wer sagt denn so etwas?«, fuhr ihn der Arzt an. »Ich möchte ihnen sehr wohl helfen.«
»Aber?«
»Diese Dinge kann ich bloß von Angesicht zu Angesicht bereden. Ich brauche keinen Ersten Terraner, der für sie argumentiert, und schon gar nicht, wenn er es derart schlecht macht wie du.«
»Hättest du das denn nicht gleich sagen können?«
»Selbstverständlich hätte ich das.« Khalai nickte. »Doch zuerst wollte ich wissen, wie ernst dir diese Sache tatsächlich ist.«
»Und?«
»Ich hätte es niemals für möglich gehalten; aber obwohl du mit deinen Argumenten auf verlorenem Posten stehst, kämpfst du um die Sayporaner, um ihr Leben.« Der Arzt fuhr sich durchs dunkle, wirre Haar. »Vielleicht habe ich dich falsch eingeschätzt ... Gib mir die Gelegenheit, mit einem deiner Gefangenen zu sprechen. Dann sehen wir weiter.«
*
Die Unterhaltung wurde zu einer der seltsamsten, der Joschannan jemals beiwohnte.
Im Inneren des Turms des Schweigens, in einer Art Betraum, fanden sich Dastur, Mobad und Herbad zusammen, die Angehörigen der zoroastrischen Priesterkasten.
Faroz Khalai war in einen brokatbestickten Umhang gehüllt und trug eine Mütze, deren Aussehen in Joschannans Augen lächerlich wirkte. Er betete mit tiefer, brummiger Stimme, seine Kollegen wiederholten manche seiner Worte, andere nicht.
Das Zeremoniell nahm mehr als eine halbe Stunde in Anspruch. Der Raum war mit den Gerüchen ätherischer Öle erfüllt, irgendjemand schlug in unregelmäßigen Abständen auf einen Gong.
Joschannan war sich sicher, dass diese Rituale längst nichts mehr mit denen zoroastrischer Vorfahren zu tun hatten, die den Weg von der Erde nach Maharani gefunden hatten. Andererseits: Auch Christen, Muslime, Hindi, Buddhisten, Juden, Pastafari, Wicca, Sikhs, Voodoo-Gläubige, Shintos, Antiochenäer, Akkra-Singaristen, Beniaren, die Freien Liebenden und viele andere Angehörige der großen Gemeinschaften hatten über die Jahrtausende mitunter seltsame Wandlungen im Bereich
Weitere Kostenlose Bücher