PR 2685 – Der ARCHITEM-Schock
Nachhall tiefer Trauer lauerte wie ein Raubtier. Sie musste aufpassen, dass sie nicht erneut im Jammertal beginnender Depression versank.
»Es liegt keine Nachricht des Residenten vor«, antwortete die Positronik auf ihre Frage. »Der Resident ist noch nicht zurückgekehrt.«
Natürlich nicht, redete sie sich ein. Bully würde sich umgehend bei mir melden.
Vielleicht war es besser so. Das Solsystem war derzeit nicht der sicherste Ort. Und das war mild formuliert.
Henrike Ybarri erschrak über ihr eigenes sarkastisches Lachen, mit dem sie diesen Gedankengang quittierte. Es gab nichts zu lachen, weiß Gott nicht. Sie fühlte sich verdammt elend und niedergeschlagen ...
Da war immer noch ein Rand auf der Tischplatte. Erneut rieb sie mit dem Ärmel darüber, so lange, bis die letzte Spur ihrer angetrockneten Tränen verschwunden war. Danach fühlte sie sich ein klein wenig besser.
Eine schreckliche Stunde.
Es war zehn Minuten vor 19 Uhr. Vor knapp einer Dreiviertelstunde hatte sie die höchste Alarmstufe ausgerufen und seitdem alle Zustände durchlebt, nicht gerade von himmelhoch jauchzend, aber doch bis zum Zu-Tode-Betrübt. Ein Schock – das hatte sie schnell erfahren –, der keinen verschont hatte.
Nach wie vor hing die Trauer über Terrania. Nahezu das gesamte öffentliche Leben war für kurze Zeit zum Stillstand gekommen, regenerierte sich indes bereits wieder. In diesem Meer der Tränen brauchte sie sich ihrer Verfassung nicht zu schämen.
Henrike Ybarri erhob sich. Sie ging bis zu der großen Panoramaverglasung. Dort blieb sie stehen und blickte über Terrania hinweg. Sie nahm dennoch kaum etwas von dem wahr, was sie sah. Wolken zogen schnell über den Himmel. Sie hatte es nicht mitbekommen, aber es sah aus, als hätte sogar der Himmel geweint.
Ein Signalton erklang.
Eine neue Hiobsbotschaft? Noch während sie sich umwandte, hoffte die Erste Terranerin, dass es nicht so sei.
Oft genug waren Hoffnungen vergebens.
Zu oft.
Ein Holo hatte sich aufgebaut.
Henrike Ybarri blickte in ein bärtiges Männergesicht, in dem die Trauer deutliche Spuren hinterlassen hatte. Der Mann sagte ihr, dass die Angreifer eine Wachstation auf dem kleinen Jupitermond Himalia überfallen und die Besatzung allem Anschein nach im Handstreich ausgeschaltet hatten. Ein Notruf lag vor, aus dem hervorging, dass ein Offizier die Selbstzerstörungsanlage des Stützpunkts aktiviert hatte. Der Energieausbruch auf Himalia, über elf Millionen Kilometer vom Jupiter entfernt, war eindeutig angemessen worden. Es gab keinen Zweifel: Der Stützpunkt existierte nicht mehr.
Der Schock, den der Abtransport des Psi-Korpus ausgelöst hatte, schien allmählich abzuflauen.
In rascher Folge trafen weitere Meldungen in der Solaren Residenz ein. Ybarri erhielt auf diese Weise eine permanent ergänzte und berichtigte Übersicht.
Fast überall im Sonnensystem standen erbitterte Raumschlachten kurz bevor. Das Hauptziel der Zapfenraumer lag im Bereich der Sextadimblase, die das Sonnensystem schützte. Ob weitere große Flottenverbände außerhalb des Systems auf ihren Einsatz warteten, blieb vorerst unklar.
Die Angreifer selbst waren aus dem Bereich Neptun vorgedrungen. Über die Möglichkeiten, die sich ihnen im Bereich des achten Planeten boten, konnte bestenfalls spekuliert werden.
Auf jeden Fall standen bei drei der achtundvierzig riesigen Kristallkugeln, die für die schützende Sextadimblase verantwortlich waren, jeweils Tausende von Zapfenraumern den terranischen Einheiten gegenüber. Die von den fremden Schiffen ausgehende Panikstrahlung zeigte freilich zumindest im Bereich der Kristallprojektoren keine Wirkung. Dort gab es keine menschlichen Besatzungen. Auch die Wachschiffe wurden weitgehend automatisiert von ihren Schiffsrechnern geflogen.
Es gab keine Gelegenheit, um wenigstens kurz innezuhalten und durchzuatmen. Eine Rückfrage des TLD landete direkt bei Ybarri. Kurz vor 19 Uhr befand sie sich deshalb in einer hitzigen Diskussion mit mehreren Kommandostellen, die über eine abgesicherte Hyperkomschaltung geführt wurde.
Für die Erste Terranerin völlig unerwartet kam die Meldung, dass Anicee Ybarri versuche, ihre Mutter zu sprechen.
Henrike zögerte nur kurz.
»Durchstellen!«, ordnete sie an und ignorierte alles andere.
*
»Du weinst schon wieder, Mutter?«
Irp stupst mich mit seinen kurzen vorderen Gliedmaßen an. Während der letzten halben Stunde hat er sich ungewöhnlich ruhig verhalten. Er versucht ein Lächeln,
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