PR 2706 – Sternengrab
existierte nicht mehr. War weg, war ausradiert worden.
Kendrest – war er bei ihm gewesen? Was war mit den diensthabenden Sicherheitsleuten geschehen, was mit den anderen Kranken? Wo waren Barber und Sei-bei-mir, die beiden verantwortlichen Mediker der Station, wo der schwer kranke Cheforter Emerson Danzao?
Bulls Blick trübte sich. Er hätte nicht zu sagen vermocht, ob es der Schweiß oder Tränen waren, die seine Augen verklebten. Er war so unsagbar verzweifelt und wütend – und er fühlte sich hilflos.
Was war mit Caileec Maltynouc geschehen? Hatte er seinen Tod bewusst in Kauf genommen, oder war ihm die Flucht gelungen?
Sein Isolationsraum war von einem HÜ-Schirm umgeben, rief sich Bull in Erinnerung. Andererseits müssen wir davon ausgehen, dass sich Kendrest in seiner unmittelbaren Umgebung befand. Der Ara, der ebenfalls schwer krank gewesen war.
Der Unsterbliche hatte gemeint, dem Marshall auf Augenhöhe zu begegnen, ja ihm durch dessen Gefangennahme sogar einige Schritte voraus zu sein. Nun stellte sich heraus, dass die Rollenverteilung umgekehrt war. Der Marshall hatte die Geschehnisse an Bord gelenkt. Von jenem Moment an, da er an Bord des Schiffs gelangt war und den ersten Atemzug getan hatte.
Minuten vergingen, eine halbe Stunde oder mehr, wer wusste das schon zu sagen? Bull entdeckte Tote, deren Anblick er sein Lebtag nicht mehr vergessen würde. Er schwebte über den Explosionsherden und versuchte zu verdrängen, was sie einstmals gewesen waren.
»Medoabteilung gesichert«, meldete eine wohlbekannte Stimme über den internen Funk. »Vier Verletzte geborgen, die Rettungsaktion ist vorerst beendet. Alle Sicherheitskräfte raus aus der Station! Ich schicke jetzt die Spürroboter.«
Major Ernest Snijden. Umtriebiger Kommandant einer Eliteeinheit, die auch für Inneneinsätze zuständig war. Ein Mann, auf den er sich hundertprozentig verlassen konnte.
»Diese Anweisung gilt im Übrigen auch für dich, Kommandant Bull.«
»Das ist ja wohl nicht dein Ernst!«
»Du kannst deine eigenen Anordnungen gern missachten, wenn du nicht möchtest, dass die Robot-Suchtrupps irgendwelche Spuren finden.«
Bull gab dem Major recht. Nun war Feinarbeit notwendig. Ganze Heerscharen winziger Maschinen würden durch das zerstörte Gebiet wuseln und Ursachenforschung betreiben. Dies war eine Angelegenheit für NEMO.
Bull schwebte den zerstörten Hauptgang entlang, zurück zum Schott. Er blickte ein letztes Mal nach links und nach rechts und suchte nach Auffälligem. Doch da war nichts. Nur die Spuren einer allumfassenden Vernichtung, die von mehreren Dutzend Bomben ausgegangen war.
*
Ernest Snijden wirkte blass. Der Folienfalthelm seines SERUNS war geschlossen, die Spiegelung des Head-up-Displays legte die üblichen Muster über sein Gesicht. War der Major ebenfalls vom Gift befallen? Musste Bull auch seinen Ausfall befürchten?
»Keine Sorge, mir geht es gut«, sagte der Major, als hätte er Bulls Gedanken erraten. »Aber ich habe offenbar zwei meiner Leute verloren, die in der Medoabteilung lagen.«
»Es sind nicht zwei, sondern mehr als fünfzig Personen da drin umgekommen«, korrigierte Bull den Militär. »Aber ich hörte, dass es Überlebende gibt?«
»Ja. Vier. Eine Biologin, ein Servicetechniker, ein Logistiker. Und ein Mädchen, dessen Mutter da drin umgekommen ist.«
»Die Kleine muss umgehend psychologisch betreut werden. Und macht euch daran, den Vater oder jemand anderen ausfindig zu machen, der sich um sie kümmert.«
»Ist bereits alles in die Wege geleitet.«
»Was wissen die Überlebenden? Oder anders formuliert: Warum haben sie überlebt?«
»Sie befanden sich in jenem Warteraum, der am weitesten weg von all den Explosionen war. So vermuten wir es zumindest. Wir entdeckten sie in einer Art Hohlraum, eingekeilt zwischen Trümmern. Beide Männer sind leicht verletzt, die Frau schwer. Das Kind ist glimpflich davongekommen.«
»Sie haben also nichts gesehen und nichts bemerkt?«
»Nein.«
»Schade. Ich möchte mich dennoch später mit ihnen unterhalten. Vielleicht ist ihnen ja im Vorfeld etwas Ungewöhnliches aufgefallen.«
Snijden trat einen Schritt zur Seite. Bull erhaschte einen Blick auf vier Menschen, die in silbern glänzende Tücher eingewickelt waren, an deren Rändern winzige Diagnoseroboter saßen. Sie kümmerten sich um kleinere Verletzungen, verklebten oberflächliche Wunden und führten erste Scans durch.
Das Kind, ein Mädchen von sieben oder acht Jahren, starrte
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