PR Action 07 Aufstand Der Grall
erlebten Art und Weise. Es war, als schöbe sich von allen Rändern ihres Blickfeldes gleichzeitig kohlrabenschwarze, undurchdringliche Dunkelheit auf sie zu, bis nur noch eine einzige stecknadelkopfkleine Lücke offen blieb, durch die Licht und ein winziges Fragment ihrer Umgebung über die Sehnerven in ihr Gehirn gelangten.
Sie war zu Tode erschrocken. In diesem Moment glaubte sie, tatsächlich sterben zu müssen. Als fresse die pechschwarze Finsternis nicht nur ihre Sehkraft, sondern ihre Kraft schlechthin in sich auf. Verschlungen von tiefer, undurchdringlicher Schwärze.
Eine Waffe, dachte sie. Das Ding ist eine nach einem unbekannten Prinzip arbeitende Waffe.
Dann erlosch auch der allerletzte Rest Helligkeit -wie ein aufgewirbelter Funke in finsterster Nacht.
*
Gucky von den Ilt hatte gerufen, und alle waren seinem Ruf gefolgt.
Wie Kinder um ihren Lehrer hockten sie um ihn herum, obgleich die Magadu den kleinen Freund ihres Volkes auch im Sitzen teils noch überragten.
Nicht alle Größe lässt sich in Längen messen.
Sian hatte den Eindruck, eine Stimme flüstere ihr die Worte ins Ohr. Eine Stimme, die vielleicht nur jene zu hören bekamen, die irgendwann im Leben aufgefordert wurden, sich eine Sippe von kleinerer Zahl zu suchen.
Gucky ersuchte die Magadu um Hilfe. Zu diesem Zweck setzte er alles daran, sie aufzurütteln.
Sian wusste, dass ein hartes Stück Arbeit vor ihm lag. Er hatte
Grenzen zu überwinden, die so alt waren wie das Volk, das zwischen ihnen lebte; Grenzen aus Desinteresse, aus Schicksalsergebenheit - und aus Angst.
Der Grund, weshalb die Magadu ein verschlossenes Volk waren, lag weit in der Vergangenheit. So weit sogar, dass ihn niemand mehr kannte. Vielleicht war er absichtlich nicht überliefert worden, damit nachkommende Generationen frei von seiner Bürde lebten. Aber dieser Plan war nicht aufgegangen: Gewiss, die Magadu von heute waren frei von jener Last, die ihre Ahnen für sich behalten und mit ins Grab genommen hatten; doch die Angst war ihnen geblieben. Sie vererbte sich - und es war eine Angst, die sich mehr erklären ließ. Angst vor allem.
Wie ein Gegner, gegen den keiner anzutreten wagt, weil niemand um seine Kräfte, Macht und Eigenheiten weiß.
Wieder die Stimme ...
Sian lauschte Guckys Appell, folgte seinen Gesten. Sie kam nicht umhin, ihm Bewunderung zu zollen. Er wusste, wie er mit den Magadu reden musste, damit sie ihn wirklich verstanden: Er bediente sich nicht einfach nur ihrer Sprache, sondern vor allem ihrer Art zu sprechen. Und so führte er ihnen vor Augen, wie sie lebten - und welches Los ihnen noch drohte, wenn sie nichts dagegen unternahmen. Wenn sie ihm und sich nicht halfen.
Dreißig von uns hat der Schreckliche schon »geholt«, jedem Einzelnen hat er die Seele gefressen.
Sian schluckte hart und versuchte sich vorzustellen, wie es sein musste, wenn einem die Seele aus dem Leib gebissen und verschlungen wurde.
Sie schauderte, zitterte wie in tiefster Kaltzeit und schlang die Arme in einem vergeblichen Versuch, sich zu wärmen, um den Oberkörper. Doch so war dieser Kälte nicht beizukommen. Dazu bedurfte es anderer Mittel - und neuer Wege.
Dreißig waren fort. Das Verschwinden eines jeden von ihnen
hatten Leere und furchtbaren Schmerz in der Gemeinschaft hinterlassen, als sei sie ein großer Leib, dem dreißig Glieder ausgerissen wurden.
Aber nicht die Gemeinschaft litt.
Jeder Einzelne war nicht nur Teil des Ganzen, des Einsseins, jeder Einzelne war auch - und vielleicht vor allem - etwas ganz Besonderes für jemanden: Jeder war jemandes Kind, jemandes Gefährte, jemandes Bruder oder Schwester.
Sian dachte an Muiro, dachte nur seinen Namen, mehr nicht. Doch das genügte, die Wunde, die sein Verschwinden ihr zugefügt hatte, wieder aufzureißen und in sie bluten zu lassen. Als würde sich ihre Lunge mit diesem Blut füllen, um sie zu ersticken.
Muiro war der Sechsundzwanzigste gewesen.
Vier waren ihm noch gefolgt.
Und keiner soll mehr den Weg gehen, den sie nehmen mussten!
Sian sah zu Gucky hin. Noch waren seine Worte nicht auf fruchtbaren Boden gefallen, aber er ließ sich nicht beirren.
Doch war der Boden, auf dem er predigte, im Laufe der Zeit nicht so hart geworden, dass er keine Saat mehr annahm? Sie fürchtete es fast.
Gucky bat um Hilfe, für seine Freunde, für die Sippe der Siebzehn.
Zunächst aber brauchte er selbst Hilfe.
Sian ließ ihn nicht aus den Augen. Ein klein wenig war ihr zumute, als fülle Gucky mit
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