PR Andromeda 05 - Der Schattenspiegel
seines Anzugs und zog vier fingerlange Phiolen hervor.
Die durchscheinenden Ohren seines Bruders zitterten vor Erleichterung. »Gut. Du warst spät dran. Ich dachte schon, sie hätten dich erwischt.«
»Nein ... ich wurde nur aufgehalten.«
Inahin fragte nicht nach Einzelheiten. Er hatte den dunklen Fleck auf Takegaths Anzug unmittelbar unterhalb des Gürtels bemerkt - an der Stelle, an der sein Bruder das Messer trug, das er als Junge für ihn geschliffen hatte. Leptir'ka würde nicht erfreut sein, einen weiteren seiner Kämpfer verloren zu haben. Sie konnten nur hoffen, dass er den Verlust versprengten Gilantir zuschrieb.
»Wie steht es mit dir?«, fragte Takegath. »Alles nach Plan?«
Inahin machte eine zustimmende Geste mit dem Strahlenkarabiner. »Ja. Wir sind allein in diesem Abschnitt. Und Leptir'ka war entzückt, als ich uns freiwillig für eine Patrouille meldete. Wahrscheinlich glaubt er, dass in uns endlich der rechte Kampfgeist erwacht... soll er nur.«
Takegath gab Inahin zwei Phiolen, die beiden anderen umwickelte er jeweils mit einem Lumpen und verstaute sie in verschiedenen Taschen. Der Bruder verfuhr auf dieselbe Weise. Das Droc würde jedem von ihnen über ein halbes Jahrhundert Leben erkaufen. Ein Nichts im Vergleich zur Unsterblichkeit, aber eine Zeitspanne, in der viel geschehen konnte, sich Alternativen auftun konnten.
»Wann gehen wir los?«
»Zwei Stunden nach Sonnenuntergang. Der Stoßtrupp gestern versuchte es kurz davor. Sie dachten, die Gilantir wären dann durch die Sonne geblendet. Vielleicht waren sie das auch. Nur ... genutzt hat es nichts.« Lediglich ein Gy Enäi war dem konzentrierten Feuer der Verteidiger entgangen, die offenbar auf der Lauer gelegen hatten. »Die da drüben sind immer bereit, was anderes bleibt ihnen sowieso nicht. Und bei Dunkelheit sind wir im Vorteil. Ihre Nachtsichtgeräte dürften den Puls unserer Stratosphärenbombe nicht überstanden haben.«
Das Warten begann. Die beiden Brüder wechselten sich an den Ortern ab, nahmen immer wieder das Niemandsland vor ihnen in Augenschein. Sie wollten nicht das Risiko eingehen, im letzten Moment von einem Selbstmordkommando der Gilantir überrannt zu werden.
Immer wieder stiegen Zweifel in Takegath auf. Hatte er den Verstand verloren, wegzuwerfen, wonach sich jedes intelligente Lebewesen verzehrte? Und das für einen Traum, für eine Welt, die vielleicht schon nicht mehr existierte, ausgelöscht von der Rache der Xertzen?
Inahin meldete ihm regelmäßig die Anzeige der Orter, schwieg ansonsten aber. Takegath musste nicht nachfragen, um zu wissen, dass seinen Bruder ähnliche Gedanken beschäftigten.
Wenige Minuten vor ihrem Aufbruch kam der Anruf von Leptir'ka. Ein Holofeld erschien in der Grabenwand. Es zeigte den Kopf des Kommandanten der Gy Enäi. Er war viereckig, seine Metalloberfläche war glatt poliert wie ein Spiegel, sodass sein Gegenüber immer sich selbst sah. Auf das »Gesicht« waren wie mit Kinderstrichen Augen, Nase und Mund gemalt. Tatsächlich waren sie Bestandteile einer organischen Folie und beweglich.
»Takegath!«
Der ehemalige Vorkämpfer sah in sein Spiegelbild, entdeckte die Wut und den Abscheu darin und bemühte sich um einen weniger anstößigen Gesichtsausdruck.
»Ja, Kommandant?«
Hatte Leptir'ka Verdacht geschöpft?
»Ich war überrascht, als Inahin euch für die Patrouille meldete«, sagte der Kommandant. Seine Mundwinkel zogen sich nach oben. »Angenehm überrascht.«
»Danke, Kommandant.« Was will er nur?, fragte sich Takegath.
»Nun, ich rufe euch an, um euch zur Vorsicht zu mahnen. Dort draußen lauern Gefahren, die ihr euch nicht vorstellen könnt. Diese Teufel sind gerissen.«
»Das ist sehr aufmerksam von dir, Kommandant.«
»Nun, hattest du etwas anderes erwartet?« Leptir'ka wandte sich ab, hielt dann in der Bewegung inne. Sein Gesicht wandte sich wieder Take-gath zu, die Mundwinkel waren jetzt noch weiter hochgezogen. Er grinste
- eine Geste, die auch der Nimvuaner verstand. »Oh, und noch was. Viel Vergnügen!«
Das Holofeld erlosch.
Takegath holte tief Atem. In den letzten Sekunden des Gesprächs war ihm endlich aufgegangen, wieso er Leptir'ka - und die meisten der übrigen Kopfjäger - verabscheute. Ihnen machte Spaß, was sie taten. Ihnen war gleich, dass sie nie erfuhren, wo sie kämpften oder wofür. Dass sie nichts über ihre Feinde wussten, geschweige denn über die Motive ihres Meisters, den sie noch nie zu Gesicht bekommen hatten. Zu töten,
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