PR Ara-Toxin 05 - Die Trümmerbrücke
stiegen sie offenbar aus einem überladenen Speicherkristall empor.
Ein Schatten schob sich über den Kraken, eine unregelmäßig geformte, zudem ausgezackte Platte. Sie driftete der Trümmerbrücke entgegen. Gorgides erkannte trotz seiner Erregung sofort, dass dieses Fragment die THAU-Station jedoch um bestimmt 100 Kilometer verfehlen würde. Vielleicht trieb das Stück Stahl seit Tausenden von Jahren als Zeuge einer längst vergangenen Katastrophe durch den Raum.
Das Fragment riss den Kraken mit sich. Gorgides bemerkte es, weil die Trümmerbrücke langsam nach der falschen Seite wanderte. Einer der Greifarme hatte sich offenbar in dem Artefakt verfangen.
Immer mehr Schaltflächen erloschen. Gorgides schaffte es nicht, den Arm zu kappen oder dessen Greifvorrichtung zu öffnen. Die massige Platte verlor zwar an Geschwindigkeit und wurde in ihrem Kursvektor leicht beeinflusst, aber die Masse des Kraken war zu gering, die Abdrift vollends zu stoppen.
Gorgides Bemühungen, den Antrieb seines Fahrzeugs zu reaktivieren, blieben erfolglos. Er schaffte es nicht, das positronische System wenigstens in den wichtigsten Bereichen aufrechtzuerhalten. Nach 20 Minuten waren nur noch wenige Schaltflächen aktiv, und ihr Flimmern blieb nach dem Ausfall der Innenbeleuchtung die einzige Lichtquelle.
Ignats Gorgides fröstelte. Inzwischen verwehte sein Atem schon als fahler Nebelhauch. Und wahrscheinlich arbeitete neben der Temperaturregelung auch die Lufterneuerung nicht mehr.
Ob einer der anderen Lotsen sein Missgeschick bemerkt hatte? Gorgides starrte in die Schwärze hinaus. Er suchte nach einem näher kommenden hell strahlenden Stern.
Inzwischen war seine Arbeitsschicht zu Ende.
Gorgides zitterte. Immer mehr sackte er in sich zusammen. Sein dünner Bordanzug mit dem Rollkragen hielt der beißenden Kälte nicht stand. Der Lotse rollte sich in dem Sessel zusammen, verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und versuchte, wenigstens die Armmuskeln warm zu halten, indem er mit den Händen stetig auf die Oberarme schlug. In seinem Schädel dröhnte und hämmerte es, und diese Kopfschmerzen waren nicht einmal eine Folge der aufputschenden Wirkung des Dreiers. Die stete Reizüberflutung verschaffte sich andere Ventile. Wirklich Eyemalin-Süchtige hatten nur ein sehr geringes Schlafbedürfnis und erbrachten körperliche Spitzenleistungen. Der unweigerlich folgende Zusammenbruch kam irgendwann mit dem völligen Verlust der Selbstkontrolle und schweren Tobsuchtsanfällen. Aber Gorgides nahm kein Eyemalin, das hielt er sich immer wieder vor Augen. Er war mit dem Dreier-Derivat zufrieden, wollte gar nicht mehr, als seinen Körper zu besonderer Wahrnehmungsfähigkeit zu treiben. Anders hätte er es nie geschafft, sechs Jahre lang durchzuhalten und damit länger als jeder Trümmerlotse vor ihm. Drei, vier Jahre, dann war jeder ein Wrack, der täglich mit einem Kraken nach draußen ging. Und die Kranken beneideten die Toten in jeder Beziehung.
Gorgides lachte verbittert. Lautlos. Sein ganzer Körper wurde durchgeschüttelt. Die aufsteigende Übelkeit ließ ihn nach Luft ringen. Das war sein Fehler. Er hätte näher an der Trümmerbrücke bleiben sollen, dort, wo die Kraken nur den Frachtumschlag kontrollierten und weitgehend abwickelten, umgeben von einem unablässig variierenden Konglomerat aus Schub- und Zugfeldern. Aber auch dort lauerte Gefahr. Im Schubstrahl eines zündenden Impulstriebwerks war schon mancher Krake wie ein Falter in offener Flamme verbrannt.
Er, Gorgides, hatte sich für mehr Freiheit entschieden, ein paar Kilometer weiter entfernt von der feist grinsenden Visage des Lamos Ozwach. Gorgides mochte den THAU-Händler nicht, er mochte überhaupt keinen der überheblichen Springer, die glaubten, stets aus dem Vollen schöpfen zu können. Mehr als billige Manövriermasse waren die Milchstraßen-Tefroder nie für sie gewesen.
Deshalb war Gorgides immer möglichst weit draußen, am äußeren Ende von Pfanne zwei. Befasst mit dem Einfangen von Schrott und mitunter sogar Frachtgut, das an irgendeiner von Hunderten Verladestationen verloren gegangen war. Bauarbeiten an diversen Stationen gab es zudem unaufhörlich.
Gorgides' Kopfschmerzen waren stärker geworden, ein Pochen und Ziehen unter der Schädeldecke. Dieser Schmerz verfolgte ihn, seit er auf die Trümmerbrücke gekommen war, aber er hatte auch von anderen Tefrodern gehört, dass es ihnen ähnlich erging. Nur ein paar Wochen hatte er ursprünglich bleiben wollen,
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