PR Lemuria 01 - Die Sternenarche
bereits dort gewesen und wieder abgezogen, im Glauben, dass sie niemals so dumm oder verrückt sein konnte, dort aufzukreuzen.
Dann hielt die Kabine auf dem Mitteldeck an. Denetree wünschte dem alten Mann, dessen Kopf nach vorn gesunken war und mit dem Kinn auf der Brust ruhte, einen Guten Abend und zwang sich dazu, die Kabine langsam und unaufgeregt zu verlassen, wie eine Metach, die aus Pflichtgefühl länger auf den Feldern geblieben war und jetzt am Ende ihrer Kräfte ihrem wohlverdienten Schlaf entgegenwankte.
Sie kam nicht weit. An dem Weg, der von der Kabine wegführte, hatten einige Tenoy Aufstellung genommen. Sie trugen Körperpanzer und Handwaffen. Zwei von ihnen lagen in einigen Metern Entfernung auf dem Boden hinter einem Gewehr, dessen Lauf auf einem Gestell ruhte. Denetree hatte nicht gewusst, dass es auf dem Schiff überhaupt so schwere Waffen gab.
Eine Schlange aus Fußgängern und Radfahrern hatte sich an dem Posten gebildet. Die Metach ließen die Prozedur geduldig über sich ergehen. Sie waren es gewohnt, Anordnungen zu folgen. Doch statt des üblichen Gleichmuts glaubte Denetree auf vielen Gesichtern eine Erregung zu sehen, die ihr bislang unbekannt gewesen war.
Ihr blieb keine andere Wahl, als sich ebenfalls in die Schlange ein-zureihen. Jeder Versuch, ihr auszuweichen, hätte unweigerlich den Verdacht der Tenoy erregt. Mit klopfendem Herzen stellte sich Denetree an, im sicheren Wissen, ihrem Schicksal nicht entrinnen zu können.
Ihr Puls schlug hart. Wann hatte sie das letzte Mal gegessen? Sie konnte sich nicht erinnern. Ihre Umgebung verschwamm, drehte sich plötzlich. Wie aus weiter Entfernung hörte sie die geflüsterten Gespräche der anderen Metach in der Schlange.
»Hoffentlich schnappen sie sie bald!«
»Verräter an Bord! Wie kann das sein?«
»Der Naahk hat Recht. Wir müssen sie auslöschen, bevor sie uns alle in den Untergang reißen!«
Das Drehen wurde schneller. Die Metach um sie herum verwandelten sich in tanzende Schemen, die wild auf- und absprangen. Ihr Flüstern schwoll zu einem Brüllen an.
Was sollte sie nur tun? Die Tenoy würden ihren Armchip in die Handscanner einlesen, und das Schiff würde in Gedankenschnelle wissen, mit wem es zu tun hatte. Die Schwester des Verräters. Sie musste auf ihr Rad springen und davonfahren, so fest in die Pedale treten, wie sie nur konnte, den Akku zuschalten und treten, treten, immer weiter, immer weiter, nicht nachlassen.
Denetree schwankte. Die Stimmen der Passanten verdichteten sich zu einem bösartigen Knurren, das ihr mehr sagte als alle Worte. Denetree packte mit beiden Händen den Lenker ihres Rads, stützte sich ab. Einen winzigen Augenblick lang fand sie Halt, gab ihr die feste Metallstange ein Gefühl der Sicherheit. Das Drehen hielt an. Denetree sah die entsetzten Gesichter der Metach. Sie wichen vor ihr zurück, als hätte sie eine ansteckende Krankheit.
Ein Tenoy rannte auf sie zu. Dann. Schwärze.
Denetree fiel und fiel und fiel.
Sie spürte keinen Aufprall. Das Licht kehrte übergangslos in ihre Wahrnehmung zurück, überflutete sie mit einer grellen Woge, in der sie zu ertrinken drohte.
»Mach die Lampe weg, Tenoy!«, hörte sie eine Stimme. »Merkst du nicht, dass du sie blendest?«
Die Lichtflut versiegte. Denetree nahm Umrisse wahr. Männer und
Frauen, die über ihr standen. Sie trugen schwarze Uniformen und Helme, deren Visiere nur die Münder und die Nasen frei ließen.
Sie haben dich!
Seltsamerweise verspürte sie keine Furcht. Hatte es nicht so kommen müssen? Was bildete sie sich ein, dem gesamten Schiff zu trotzen - sie allein?
»Kisame!« Da war wieder diese Stimme. Diesmal gab sie keinen Befehl. Nein, sie war bestürzt, von Sorge übermannt.
Wen meinte sie?
»Kisame! Hörst du mich? Ist alles in Ordnung?«
Eine Hand schob sich unter ihren Nacken, legte etwas Weiches unter ihren Kopf, eine zusammengelegte Jacke oder etwas Ähnliches. Als die Hand sich zurückzog, verharrte sie an ihrem Hals, Finger zwickten sie.
»Kisame! Spürst du das?«
J-ja, dachte Denetree. Sie versuchte, den Gedanken auszusprechen. Ihr gelang nur ein Gurgeln. Der Mann kümmerte sich um sie. Er hatte sie gezwickt, um zu prüfen, ob sie bei Bewusstsein war. Aber da war noch mehr. Als seine Hand unter ihren Nacken gefahren war, hatte er ihn umfasst, nur einen kurzen Augenblick und unsichtbar für die Tenoy. Als wolle er ihr ein Zeichen geben. Was wollte der Mann? Und wer war Kisame? Verwechselte er sie mit
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