PR Lemuria 01 - Die Sternenarche
Anhänger glich.
Der Plastik-Vhrato, den Solinas Urgroßmutter erhalten hatte, war demnach in Gestalt eines Akonen, mit samtbrauner Haut - die stellenweise bereits abblätterte - und langen, mit einem Zopf zusammengebunden Haaren gekommen, die Arme weit ausgestreckt in einer huldvollen Geste. Die Familie hatte der alten Frau die Statue gelassen. Welchen Schaden hätte der Plastik-Vhrato auch anrichten sollen? Mesdaq schien zufrieden damit, mit ihren Fingern seine Konturen nachzufahren und dabei versonnen zu lächeln.
Einige Wochen später war die Statue aus den Händen der Greisin verschwunden. Stattdessen fand Solina sie im Hauptgang des Rundhauses vor. Jemand hatte aus Treibholz eine Art Altar gefertigt, auf dem der Plastik-Vhrato stand. Und das war erst der Anfang: Im Lauf der Jahre bis zu Mesdaqs Tod gewann der Altar zunehmend an Größe, und bald standen vor ihm jeden Tag Opfer für den Vhrato in einer Schale, meistens Leuchtfische, die man für teures Geld hätte an die Touristen verkaufen können und die furchtbar stanken.
Niemand wusste, wie der Altar angewachsen war oder woher die Opfer kamen. Jeder im Haushalt schimpfte darüber, doch niemand brachte den Mut auf, der Greisin den Vhrato wegzunehmen, vor dem sie den ganzen Tag über selig lächelnd in ihrem Stuhl schwebte und der übrigen Familie den Durchgang erschwerte.
Dann starb Mesdaq. Sie begruben sie im Keller des Hauses, wo alle Familienangehörigen ihre letzte Ruhe fanden, und als Solina wieder aus dem Untergrund heraustrat, erwartete sie, dass ihr Vater, der sich immer am lautesten über den Altar beschwert hatte, ihn abbauen und ins Meer werfen würde. Aber der Altar war noch unversehrt an Ort und Stelle, und ein frischer Leuchtfisch lag in der Opferschale.
Solina war einige Jahre nicht mehr zu Hause gewesen, aber sie war überzeugt davon, dass der Altar noch immer existierte, vielleicht bereits den gesamten Gang in Anspruch nahm.
Und nun stand sie wieder von einem Altar. Solina spähte an Perry Rhodan vorbei, der sich auf den Lenker des Fahrzeugs stützte, das er Fahrrad nannte, auf die kleine Lichtung zwischen den Büschen. Die Akonin hatte unwillkürlich das Gefühl, ein Versteck vor sich zu haben, als sei der Kult, dem der Altar diente, nur widerwillig geduldet.
Wie in dem Rundhaus ihrer Familie auf Shaghomin war der Altar improvisiert. Statt Treibholz hatten seine Erbauer Äste benutzt, die von den ringsum wachsenden Sträuchern und anderen Pflanzen stammten und die sie mit Plastikteilen zu einer größeren Struktur verbunden hatten. Die Uneinheitlichkeit der verwendeten Materialien, aber auch die verschiedenen Methoden, mit denen das Material zusammengesetzt war - Solina war im Geiste schon fast versucht, sie »Stile« zu nennen -, bewiesen dem geübten Auge der Historikerin, dass sie eine Konstruktion vor sich hatte, die seit einiger Zeit, vermutlich sogar seit Generationen, existierte und an der sich viele Hände beteiligt hatten.
Herausgekommen war dabei ein ovales Podest von einer Länge, die Solina auf zwei Meter schätzte, und einer Breite von ungefähr anderthalb Metern. Am Fuß des Podests waren eine Reihe von Opferschalen fest angebracht, von denen die meisten gefüllt waren.
»Das glaube ich nicht«, stöhnte Robol von Sarwar, als er die Figur sah, die auf dem Altar thronte. »Das glaube ich einfach nicht. Das kann nicht sein, Solina, oder?«
Die Historikerin gab keine Antwort. Nichts war unmöglich. »Geschichte« war stets nur ein Konstrukt des Bekannten und dessen, was eine Gesellschaft für beachtenswert erachtete. Der Reflex des Durchschnittsbürgers war, alles, was dem bekannten Bild widersprach, als unmöglich abzutun. Die Pflicht der Historikerin war es deshalb, neue Fakten möglichst vorurteilslos zu prüfen und sie in das Bild einzuweben, auf dass es wieder ein Quäntchen mehr den Tatsachen nahe kam. Sofern man überhaupt an so ein naives Konstrukt wie »Tatsachen« glaubte, was nur noch wenige Historiker im 14. Jahrhundert NGZ taten.
Solina sah aus dem Augenwinkel, dass Pearl Laneaux und Hayden Norwell mit gezogenen Strahlern Wachpositionen bezogen hatten. Gut. Das gab ihr die Gelegenheit, diesen Ort der Verehrung genauer zu untersuchen.
Die Akonin trat an den Altar heran, ging vor der Statue in die Knie und widmete sich den Opferschalen. In zwei davon befand sich Nahrung: eine längliche Schote, die Solina an die Frucht des Nhemud-Baums ihrer Heimat erinnerte, und bei der zweiten Gabe handelte es sich
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