PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche
Glassarg sofort wieder weg!«
Die Riesin starrte ihn ungläubig an. Ihre Finger verhielten über dem Zauberbrettchen. Auf dem feisten Gesicht bildeten sich Schweißperlen. Die fast leere Trinkflasche entglitt ihrer anderen Hand und schwebte durch die Halle davon. »Sag das noch mal!«
»Du wirst mich aus dieser Klaue lassen, die ich nicht sehen kann und die du wahrscheinlich mit dem Brettchen da befehligst. Und du wirst den Behälter wieder in der Wand verschwinden lassen!«
Er spürte, dass sie beeinflussbar war, doch ungleich schwieriger als Rautsh, der Matekten oder die Geneser. Boryk mobilisierte all seine
Kraft, pumpte das Fieberfeuer geradezu in ihre Richtung. Trotzdem schaffte sie es, seinem Willen Widerstand zu leisten. Sie kämpften verbissen und wortlos. Die Riesenfinger bewegten sich, sehr langsam, doch in einem fort. Sobald Boryk nur ein wenig nachließ, rückte er ein Stück näher an den Sarg. Gewann er wieder die Oberhand, stoppte die Bewegung. So ruckelte er Meter um Meter dahin, auf das Verhängnis zu. Instinktiv wusste er, dass er verloren hatte, sobald er in Gelee und Schlauchgewirr versank.
So ging es nicht, begriff er.
Es reichte nicht aus, ihr etwas anzuschaffen. Dagegen verwehrte sie sich, im Bewusstsein, dass sie die Naahkin war, was so viel wie Oberste Wächterin bedeutete. Sie war seit undenklich langer Zeit gewohnt, dass sich alles ihr unterordnete, ja sie weigerte sich schlechthin, eine andere Position auch nur in Betracht zu ziehen, geschweige denn zu akzeptieren. Wenn er nicht letztlich doch in dem schrecklichen Glassarg enden wollte, musste er ihre Selbstsicherheit erschüttern. Er musste zuerst ihren Willen brechen, bevor er ihr den seinigen aufzwingen konnte.
Er begann sie zu beschimpfen, zu verfluchen. Dabei verwendete er die Anhaltspunkte, die sie ihm zuvor selbst geliefert hatte. »Eine schöne Göttin bist du!«, höhnte er. »Hässlich wie die Nacht, aufgeschwemmt und so verfettet, dass du dich kaum rühren kannst. Versteckst dich hier oben, weil du weißt, dass deine Geschöpfe dich an-66spucken würden vor Ekel. Nicht einmal Gujnar würde sich mit dir abgeben, und das heißt was! Und eine Versagerin bist du noch dazu. Vermochtest nicht zu retten, was dir anvertraut war, bist sogar zur Mörderin geworden an deinen Schutzbefohlenen. Ja, zur Mörderin! Schande über dich, Mörderin!«
Seine Hasstirade zeigte Wirkung. Die gläserne Lade fuhr zurück in die Wand - nur um umgehend wieder zu erscheinen. Aber wenigstens bewegte er sich momentan nicht darauf zu. Ihm kam sogar vor, als lockere sich der unsichtbare Griff.
Schweiß und Tränen vermischten sich im Gesicht der Naahkin. Ihre Unterlippe zitterte, Speichel floss aus den Mundwinkeln. »Möglich, dass deine Anschuldigungen eine gewisse Berechtigung besitzen«, gab sie heiser zurück. »Obwohl ich immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt habe. Doch das tut nichts zur Sache. Du hast keine Chance. Selbst wenn du dieses Duell dank deiner Parakräfte gewinnst - wohin willst du vor mir fliehen? Mein Arm reicht überallhin in diesem Schiff. Ich gebiete über eine Armee von Robotern, die dich über kurz oder lang in jedem Schlupfwinkel aufstöbern, wo auch immer du dich verkriechst. Und vergiss nicht, ich habe alle Zeit der Welt.«
Ihre Rechte umklammerte das Brettchen, ihre Linke das Amulett. Das Schmuckstück, das ihr, wie sie behauptet hatte, Unsterblichkeit verlieh. Boryk sah keinen Grund, daran zu zweifeln. Dies war der Sitz ihrer göttlichen Fülle, das Kernstück ihres Selbst- und Sendungsbewusstseins.
Und zugleich ihre Schwachstelle.
»Wie ist es, schon so lange gelebt zu haben?«, konterte er. »Ich weiß, wie man sich fühlt, wenn man gefehlt und Schuld auf sich geladen hat. Um wie viel schwerer muss erst dich dein Gewissen drücken! Kannst du diese Last überhaupt noch ertragen, Mörderin? Bist du nicht gerade deshalb so schlaff und antriebslos und berauschst dich tagein, tagaus?«
Das saß. Er spürte augenblicklich am Wanken ihres geistigen Verteidigungswalls, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Erbarmungslos setzte er nach.
»Ich kenne die Verzweiflung, die einen befällt, wenn das Leben keinen Sinn macht. Ich kenne sie gut! Wenn man sich als wertlos und unnütz empfindet, als wandelnde Beleidigung der Umwelt, als Missgeburt und Missetäter zugleich. Wenn man sich und die Welt am liebsten davon erlösen würde. Ich kenne das. Vor wenigen Tagen erst war ich versucht, meiner Existenz ein Ende zu
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