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PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche

PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche

Titel: PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Lukas
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Gastgeschenken an die Geneser, voller Vorfreude auf die frauenreiche Jenseite, wurden sie von Bergführern über die Klippen bis zur Rauchsäule geleitet. Der gesamte erste Jahrgang seit dem Beginn von Boryks Regentschaft kehrte wohlbehalten zurück, mit Blumen bekränzt, noch tagelang selig grinsend.
    Es war eine gute Zeit. Der Himmel prosperierte, und den Berichten der Jungmänner zufolge auch die Hölle. Jahre zogen ins Land. Gute Jahre. Doch allmählich mischten sich, zuerst fast unmerklich, in das Glück und die weitgehende Harmonie Misstöne.
    Immer öfter oblag Boryk die Pflicht, ihm lieb gewordene Menschen zu bestatten. Der dicke Fosse war der Erste, dessen Leichnam er, im Rahmen einer mit viel Most begangenen Trauerfeier, dem Schlund des Vertilgers übergab. Bald darauf starb ein weiterer seiner Väter, dann seine Mama. Gujnar folgte, der sich zu einem durchaus passablen Jittri entwickelt hatte; Rautsh, der Boryk als persönlicher Tennoi treu gedient hatte.
    Und schließlich Duani.
    Ihr war schon aufgefallen, dass Boryk nicht in gleichem Maß alterte wie die Übrigen, lange bevor er es selbst festgestellt hatte. Seine Haare wuchsen und fielen aus, doch sie ergrauten nicht, während ihre schlohweiß wurden. Finger- und Zehennägel mussten geschnitten werden, doch in weit größeren Abständen als bei ihr. Duanis Haut erschlaffte, wurde spröd, faltig, runzlig; seine blieb makellos. Er hielt sich springfidel aufrecht, derweil sie immer gebeugter ging, am Stock, und selbst dann musste er sie stützen, wenn sie ihm zuliebe die Hütte verließ und den langen, weiten Weg hinunter nach Ehedem auf sich nahm. Er pflegte sie, als sie bettlägerig war, und als sie ihn bat, sie einmal noch den Silbernen Berg und das vertikale Dorf sehen zu lassen, da wusste er, dass es zu Ende ging. Alle vier amtierenden Tennoi - zwei davon Rautsh, ihrem Vater, wie aus dem Gesicht geschnittene Söhne - trugen die Sänfte. Auf dem Rückweg schlief Duani in Boryks Armen ein und erwachte nicht wieder.
    Nach der Zeremonie vergrub er sich in seiner Hütte, ergab sich seinem Kummer. Er hatte damit leben gelernt, dass seine Wünsche erfüllt wurden, wenn er ihnen nur genügend Nachdruck verlieh. Doch von wem sollte er fordern, dass ihm Duani zurückgegeben würde? Und all die anderen, die er bestattet hatte? Es gab keine Göttin mehr in Himmel und Hölle, er selbst hatte sie getötet, oder Beihilfe zu ihrem Tod geleistet. Die Worte, die er zu der Naahkin gesprochen hatte, voller Lebensgier und Hass, begann er erst jetzt in ihrer vollen Bedeutung zu verstehen.
    Er war mehr als einmal versucht, die Kette mit dem Talisman abzustreifen.
    Da aber kein junger Boryk in Erscheinung trat, der ihm im richtigen Moment den Anstoß zu diesem Schritt versetzt hätte, lebte er weiter. Jahre zogen ins Land. Nicht ganz so gute Jahre wie die an Duanis Seite, doch erträgliche. Er regierte sein Volk mit Umsicht, wenngleich er sich nicht mehr ganz so oft wie früher in die täglichen Belange einmischte. Alles ging im Wesentlichen seinen Gang. Die Sonne tauchte aus dem schmalen Meer auf und wieder darin unter; die beiden Monde fuhren in ihren nur mit zusammengekniffenen Augen sichtbaren Geleisen am Firmament entlang.
    Damit sie als Zeichen dienen für die Festzeiten und Tage, Wochen, Monate und Jahre...

Intermezzo: Eine Frage der Zeit
    Sehr groß und weit ist das Universum, und vorwiegend schrecklich leer. Aber auch voll der Mysterien; wohl eines der größten und letztlich unbegreiflichsten stellt jenes Phänomen dar, das wir lapidar »Zeit« nennen.
    Ich habe in meinem langen, Jahrzehntausende umspannenden Leben viele heiße Diskussionen über dieses Thema geführt, mit vielen klugen Köpfen verschiedenster Perioden. Physiker und Philosophen, Esoteriker und Mathelogiker, sorglos spekulative wie eisern empirische Wissenschaftler diversester Fakultäten - obwohl nicht selten untereinander zerstritten auf Mord und Totschlag, waren und sind sie sich in Einem einig: Dass wir Lemurer mit unserem leider so beschränkten Sensorium jenes Phänomen, das uns doch unmittelbar und fortwährend betrifft, wohl nie vollständig zu verstehen vermögen.
    Aber wir können damit agieren, hantieren; ja, wir können die Zeit sogar unter Aufbietung allerhöchster Vorsicht manipulieren. Ich selbst habe dies bereits getan, in durchaus gravierendem Ausmaß. Und werde es wieder tun, wieder tun müssen. Denn nur, wenn ich die Gegenwart in eine ganz bestimmte Richtung beeinflusse,

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