PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche
er ursprünglich hatte nehmen wollen?
Ich weiß es nicht.
Sehr groß und weit ist das Universum, voller ungeahnter, unbegrenzter Möglichkeiten, und nur die Zeit kennt die Antwort auf alle Fragen.
Eine Verzweiflungstat
Zwei Tage vor Wintermondgleiche, im Garten Ehedem Boryk litt.
Unter Einsamkeit sowieso. Seit Duani gestorben war, hatten sich ihm oftmals Frauen als Partnerin dargeboten. Mit einigen hatte er sich vergnügt, ein wenig getröstet, ganz gut unterhalten; und dann, nach kurzen Stunden oder Tagen, im schönsten Einvernehmen wieder getrennt. Keine kam an Duani heran. Und wenn doch die Gefahr bestand, eine Neue könnte seine Erinnerung an die Gefährtin mit den dunklen, fingerlangen, krausen Haaren, dem kantigen Kinn und den hübsch weit abstehenden Ohren zu überlagern beginnen, so gab er ihr keine Chance dazu.
Auch eine gewisse Langeweile hatte sich schon vor vielen Zyklen in sein im Wesentlichen immer gleich verlaufendes Leben eingeschlichen. Kinder kamen zur Welt - statistisch gesehen mehr denn je -, sorgten in ihrer kurzen, stürmischen Pubertät für Aufregung, bewältigten die Queste oder empfingen als Mädchen ihrerseits, vor ungestümer Lebenslust zitternd, die jugendlichen Abenteurer aus der Jenseite; um sich bald danach willig in den Alltagstrott einzufügen, die Felder zu bestellen oder den Silbernen Berg zu durchforsten, sich einigermaßen endgültig zu verlieben und wie nebenbei Kinder zu zeugen... Womit alles wieder von vorn begann, während es sich zugleich für die ältere Generation langsam dem Ende zuneigte. Die Welt war rund, wohlgerundet wie ehedem Duanis Brüste. Und sicher; sicher nicht überraschend. Auch unter dieser Sicherheit litt Boryk.
Aber die vertrauten, ihm in Protein und Lebenssaft übergegangenen Leiden waren es nicht, die ihn beunruhigten.
Seit kurzem litt er körperlich.
Ungewohnte, fast vergessene Gefühle quälten ihn, suchten ihn
plötzlich heim in der Stille der Nacht, raubten ihm als Stechen und Ziehen den Schlaf, als Drücken und Pochen. Wenn er den so oft mit Leichtigkeit begangenen Steig zum vertikalen Dorf noch nicht einmal zur Hälfte hinter sich gebracht hatte, musste er keuchend innehalten, und kleine grellweiße Punkte tanzten vor seinen Augen. Stieg er hinab zum Festplatz, weil eine Feier bevorstand, bei der seine Anwesenheit erwartet wurde, war er froh, wenn er sich, ohne erkennbar zu straucheln, bis zu einem der Lautsprecher-Menhire retten konnte; an ihn geklammert schnappte er dann nach Luft und wendete alle verbliebene Kraft dafür auf, sein Gleichgewicht und seine Selbstbeherrschung zurückzuerlangen.
Wurde er etwa alt? Wurde er etwa krank?
Unmöglich. Das Amulett der traurigen Göttin hatte ihn so erhalten, wie er gewesen war, als er die Naahkin, aus der Hölle kommend, im Engelland getroffen und besiegt hatte: kaum der Krippe entwachsen, nicht viel größer als ein Kind, mit einer Haut, glatt wie die Schale der blauen Paradiesfrucht. Vielleicht siebzehn Haare am ganzen Unterkörper. Keine einzige Falte, keine einzige ermüdete Faser im Leib. Jung, für immer jung.
Und doch...
War es denkbar, dass das Amulett an Stärke verlor, und ihm deshalb ebenfalls die Kräfte schwanden? Ja. Alles war denkbar.
Boryk fürchtete den Tod nicht. Dazu hatte er ihn schon zu oft herbeigesehnt. Dass das Ende seiner Existenz plötzlich wieder Thema war, beflügelte ihn sogar. Er brachte die Zeremonie - irgendeine Einweihung irgendeines Erntetiers, inklusive Segnung aller anderen Roboter, wenn man schon dabei war - routiniert hinter sich. Dann ging er, sobald die Menge sich zerstreut und er die Mädchen abgewimmelt hatte, die ihm kokett ihre spärlichen Reize offerierten, los in Richtung Horizont. Vorbei an den Ställen, den Beerenhecken und Hainen; über Wiesen und Savannen, den trügerischen Sümpfen und Dünen ausweichend. Bis zum Strand.
Er grub sich eine Kuhle im Sand. Stellte sich vor, wie die kristallinen Körner damals in seine Lederhose rieselten, sich zwischen seinen Zehen einnisteten. Wie seine liebe Mama ihm einschärfte, nur ja nicht ohne Schwimmwülste am Rand des Wassers zu spielen, und sei es noch so seicht. Wie Gujnar ihn natürlich trotzdem hinauslockte, nur damit Rautsh ihn demütigen konnte. Wie er, unschuldig und sündig zugleich, ohne nachzudenken die Frage gestellt hatte, die ihn vollends zum Außenseiter machte.
Was liegt eigentlich hinter dem Horizont?
Boryk hatte vorgehabt, seinen schmerzenden Körper zu einer letzten Anstrengung zu
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