PR NEO 0035 – Geister des Krieges
mich dazu gebracht, ihn ... dich aufzuheben und mitzunehmen.« Eine Feststellung, keine Frage.
Keine Sorge. Meine Präsenz wird dir nicht schaden. Im Gegenteil – ohne mich wärst du längst tot.
Zumindest Letzterem konnte Novaal uneingeschränkt zustimmen. Immer noch hing sein Blick an dem Edelstein auf seiner Handfläche. Er besah sich das Ding aus allen Richtungen, fand in seiner glatten Oberfläche aber keinerlei Hinweise für einen Mechanismus. Wie ein lebender Organismus wirkte der Stein allerdings ebenso wenig.
»Bist du das? Bist du da drin?«
Grek 691 klang amüsiert, als er antwortete. Sei nicht albern, das ist doch nur ein Tarkanchar.
Novaal legte die ledrige Stirn in Falten. »Tar...kan...char«, wiederholte er den ihm fremden Begriff langsam.
Die kennst du nicht?, staunte der Geist aus der Maschine. Eigenartig. Ich hatte dich für erfahrener gehalten.
»Was macht dieser Tarkanchar? Ist er ein Kommunikationswerkzeug?« Oder ein Grab?
Aber nein. Er ist eine Art Chronist. Gibt es keine Chronisten in deiner Welt? Na egal. Tarkanchar zeichnen auf, wie die Person ist, die einen trägt. Sie speichern deren Erfahrungen, Erlebnisse und Eigenschaften.
Ein mentales Back-up! Novaals Staunen wuchs. Dieser kleine Stein in seiner Hand war ein Datenspeicher – für die komplette Identität eines Individuums? Unfassbar. Novaal war kein Wissenschaftler und auch kein Psychologe, aber er wusste, wie viele unterschiedliche Facetten eine Person ausmachten. Ein Speicher, der alle aufnahm, musste immenses Fassungsvermögen besitzen. Und eine Zivilisation, die ihn herzustellen verstand, besaß beeindruckende Technik, das war offensichtlich. Abermals fragte er sich, mit wem er es hier eigentlich zu tun hatte.
»Wer bist du, Grek 691? Woher stammst du?«
Aus den Gräben, erklang die Stimme des Fremden – des Back-ups? – leise in seinen Gedanken. Von der Front. Aus den Tagen der Zerstörung und den Nächten des bangen Wartens. Er schwieg kurz. Lass uns von etwas anderem sprechen, einverstanden?
Ein Soldat, der den Krieg nicht thematisieren wollte. Ein Persönlichkeitsspeicher. Eine körperlose Stimme. Novaal zählte die Fakten zusammen und glaubte, endlich zu verstehen.
»Du bist tot«, murmelte er sanft. »Du bist in deinem Krieg gefallen, oder? Ich rede nicht mit dir, Grek 691, sondern mit der Mentalkopie deines früheren Besitzers?«
Nicht mit mir?, wiederholte die Stimme hörbar entrüstet. Fast erwartete Novaal, der Edelstein würde sich beleidigt verfärben. Wer hat dich denn aus dem Schützengraben geleitet? Wer hat dich vor der Vernichtung durch die beiden Topsider bewahrt? Ein Toter – oder jemand mit kämpferischem Sachverstand? Wie viele Leichen kennst du, die den Lebenden praktische Hinweise geben?
»Verzeih!«, bat er. Trotz seiner Lage und der absurden Situation war er leicht amüsiert. »Ich stehe in deiner Schuld. Ich wollte dich nicht beleidigen.«
Grek 691 hielt nicht lange an seinem Groll fest. Schon nach wenigen Sekunden plapperte das Mentalabbild des verstorbenen Soldaten weiter. Novaal lauschte seinen Worten und fragte sich, wie lange dieser mysteriöse Tarkanchar wohl schon verlassen und vergessen auf der Oberfläche von Rayold gelegen haben musste. Wenn seine Geschwätzigkeit ein Indiz dafür war, sehr lange.
»Du warst einsam«, kommentierte der Reekha das Gehörte. »Allein in der Ewigkeit dieses leblosen Mondbrockens.« Tot und doch unsterblich. Eine Kopie mit dem vollen Bewusstsein des Originals. Sosehr er auch darüber nachdachte, so wenig verloren der Edelstein und sein eigensinniger »Bewohner« von ihrer Faszination. So wenig vermochte er sie wirklich zu begreifen.
Na ja, erwiderte Grek 691 mit bitterem Unterton. Ich hatte immerhin meine Erinnerungen als Gesellschaft – und die meiste Zeit verbringe ich ohnehin im Schlafmodus.
Und Grek 691 erzählte von seinem Leben. Von der Enge und der schlechten Atmosphäre in den Truppenquartieren, von seinen Stubenkameraden und Vorgesetzten, die sie einem unbarmherzigen Drill aussetzten.
Novaal erfuhr von ausweglosen Kämpfen gegen Zivilisationen, deren Namen ihm völlig fremd waren. Grek 691 erinnerte sich an unvermeidliche Konfrontationen, schilderte Soldatenträume und Soldatenschicksale.
»Wer waren eure Oberbefehlshaber?«, setzte Novaal sofort nach, bohrte nach Hintergrundinformationen.
Doch der Datengeist blieb sie ihm schuldig. Narren!, antwortete er ebenso knapp wie vernichtend – und schilderte lieber, wie er einst seiner
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