PR NEO 0035 – Geister des Krieges
Verstorbenen angehen musste: Grek 691 blieb selten lange bei einem Thema.
So voll schien er mit Geschichten und Erfahrungen, dass sie alle gleichzeitig aus ihm heraussprudeln wollten. Doch wenn man Geduld mit ihm hatte, immer wieder neue Fragen stellte und sich aus seinen Antworten selbst Kontext und Chronologie zusammenreimte, bekam man ein faszinierendes Gesamtbild. Zumindest hoffte das Novaal.
Um Khaltrun natürlich. Was sonst? Genau genommen um seinen Mond, Chassiber, und unsere dortige Kolonie. Habt ihr auch Kolonien?
Novaal bremste den Themenwechsel umgehend aus. »Chassiber. Warst du dort stationiert?«
Ja. Der Mond diente uns als Werft. Wir bauten Schiffe ohne Zahl.
»Wer ist das eigentlich, dieses wir? Welcher Kultur hast du angehört?«
Grek 691 klang schon fast ungläubig, als er antwortete. Du stellst vielleicht Fragen! Ich bin ein Maahk. Wer sonst könnte wohl auf Khaltrun leben?
Auch das war typisch Grek 691: Er vergaß immer wieder, dass er mit jemandem sprach, der seine Vorgeschichte und seinen Hintergrund nicht kannte, vermutlich sogar nie einem lebenden Vertreter seiner Spezies begegnet war.
»Wie viel Zeit ist seit deinem Tod vergangen?«, fragte Novaal.
Der Datengeist wusste es nicht. Zeit war ein Konzept, das in der Ewigkeit an Bedeutung verlor. Ich starb kurz vor Chassibers Untergang, mehr kann ich dir nicht sagen. Tut mir leid.
Novaal dachte nach. Die Zerstörung des einstigen Mondes, von dem Rayold I ein Teilstück war, lag, so vermuteten die Wissenschaftler, etwa zehn Millennien zurück. Sollte es sich bei diesem Chassiber um ebenjenen Mond handeln, hatte Grek 691 seit seinem Ableben tatsächlich eine kleine Unendlichkeit allein verbracht.
»Ihr Maahks habt also auf Khaltrun gelebt und auf Chassiber eure Schiffe gebaut«, fasste Novaal seine Einsichten zusammen. »Bis die Arkoniden kamen.« Diesen Teil der Geschichte fand er noch immer unglaubwürdig. Arkon würde doch nicht ohne Provokation zum Aggressor werden.
Der Befehl kam im Morgengrauen, berichtete der Datengeist. Meine Staffel sollte umgehend starten, die elenden Stickstoffer eines Besseren belehren. Sie schwebten bereits in unserem Orbit, große Schiffe mit mächtigen Waffen. Wir wussten, dass wir ihnen kaum etwas entgegenzuhalten hatten außer unserer Sturheit – und dem Wissen, im Recht zu sein. Das allein gab uns den Mut, an diesem Morgen abzuheben. Grek 691 schwieg einen Moment, schien gefangen in seinen Erinnerungen. Ich kann dir nicht mit Sicherheit sagen, was sie wollten. Aber es hieß, die Stickstoffer hätten unserer Regierung ein Ultimatum gesetzt: Rückzug aus dem System oder Tod.
»Die Arkoniden verlangten von euch, das Tatlira-System zu räumen?« Novaals Tonfall spiegelte seinen Unglauben. Warum hätte Arkon dies tun sollen? Welchen Nutzen hätte es sich von Rayold, also Khaltrun, versprochen, der eine solch aggressive Vorgehensweise rechtfertigte? Daheim auf Naat wusste doch jedes Kind, dass Personen, die grundlos eine Konfrontation provozierten, dadurch nur ihre eigene Schwäche bewiesen.
Dieser Teil von Greks Bericht musste falsch sein. Oder?
Wir flogen ins All, fuhr der Datengeist fort, und stellten uns ihren Schiffen. Anfangs sah alles nach einem Patt aus – weder die Stickstoffer noch wir taten irgendetwas. Wir schwebten nur da, zeigten der Gegenseite unsere Präsenz.
Novaal dachte an die Schlacht, die aktuell um Rayold I geführt wurde, und glaubte plötzlich, sich die damalige Situation sehr gut vorstellen zu können. »Lass mich raten: Das Ultimatum verstrich.«
Richtig, bestätigte die fremde Stimme in seinem Kopf. Und das Inferno begann.
Schweigend lauschte Novaal den Schilderungen. Der Maahk sprach von Raumschlachten, von getroffenen Kameraden, deren letzte Atemzüge er via Funk hatte mit anhören müssen, ohne helfen zu können. Von Schiffen, die im All verglühten, heller als Khaltruns Sonne. Irgendwann sei auch er getroffen worden und auf Chassiber notgelandet.
Aber ich hatte nicht viel von meinem Glück, sagte er bitter. Ich überlebte den Beschuss, überlebte sogar den Absturz, doch kaum war ich meiner Maschine entstiegen – blutend, keuchend und so gut wie taub –, trat ein Stickstoffer in mein Blickfeld. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er den Mund öffnet, irgendwelche Worte sagt, die ich nicht mehr höre. Seine Miene zeigt mir deutlich, was er meint. Meine Hand geht zum Strahler, aber er hat den seinen längst auf mich gerichtet und braucht nur noch abzudrücken. Mein letzter
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