PR NEO 0039 – Der König von Chittagong
Metabio-Gruppiererin, die als eine der begabtesten Mutanten bezeichnet wurde. Doch je länger er mit Ariane Colas unterwegs war, desto deutlicher wurde ihm bewusst, dass die Talente seiner Begleiterin nicht minder bedeutsam waren.
»Weiter!«, sagte sie und gab Tempo wie Richtung vor, wie so oft während der letzten Stunden.
Ja, sie war ein energisches Persönchen, und Kakuta wollte sie unter keinen Umständen zum Gegner haben.
»Es geht nicht mehr weiter«, klagte sie und gähnte. »Womöglich hab ich's übertrieben und brauche Ruhe. Vielleicht sind's auch die Umweltbedingungen. Der Rauch, Verbrennungsgerüche, hohe Schadstoffbelastungen.«
In Chittagong gab es zig Gründe, sich unwohl zu fühlen. Vor allem dann, wenn man wie Ariane sehr sensible Sinne besaß und sie exzessiv einsetzte.
»Wir legen eine Pause ein«, bestimmte Kakuta und zog seine Begleiterin mit sich. Hin zu einer der vielen Bruchbuden entlang des Weges. Sie nannte sich »Hotel« und bot Stundenservice an.
»Mehr Komfort kann ich dir leider nicht besorgen«, sagte er entschuldigend, sobald sie das schmuddelige Zimmer bezogen hatten, das vom Besitzer als »Luxussuite« bezeichnet wurde. »Immerhin: Die Matratze ist frisch überzogen, der Deckenventilator läuft, es gibt fließendes Wasser.«
»Mir ist alles einerlei«, murmelte Ariane. »Ich bin einfach nur müde.« Sie schnallte den Rucksack ab und warf sich aufs Bett. Schon Sekunden später war sie eingeschlafen.
Die Schminke war vom Schweiß verschmiert. Sie sah weit älter aus, als sie war. Sie erschien ihm nicht sonderlich reizvoll.
Er war ebenfalls erschöpft. Es schadete wohl nichts, wenn er sich auch eine Weile ausruhte. Er hatte sein Schlafdefizit noch längst nicht wieder aufgeholt.
Kakuta legte sich aufs Bett, möglichst weit weg von Ariane. Er hatte Respekt vor der Frau, nicht nur, weil sie Wurius Freundin war. Sie kokettierte zwar mit ihm, aber für Ariane war dies Teil eines komplizierten Spiels. Außerdem war sie ganz und gar nicht sein Typ. Er musste darauf achten, ihr nicht zu nahe zu kommen. Andernfalls würde sie ihn in eine Geruchshölle jagen, die er nie mehr wieder vergaß.
Er schloss die Augen und ließ die letzten Stunden Revue passieren. Das Gefühl der Schande, das einfach nicht vergehen wollte. Der Kurzaufenthalt in Terrania. Die Suche nach dem Freund durch einen städtischen Dschungel, der immer neue Facetten des Elends offenbarte. All das Leid und der Kummer, dem er begegnete ... Er wälzte sich von einer Seite auf die andere. Überlegte kurz, ob er wieder aufstehen sollte. Er würde ja doch keinen Schlaf finden.
Kakuta gähnte, wollte sich aufstützen und ... und ...
Da ist dieses Tal, das er durchschwebt, wie ein Geist, frei von Sorgen und hässlichen Gedanken, weit weg von Enge und Menschen.
Kakuta blickt auf einen Fluss hinab, der sich mehrfach teilt. Das Wasser plätschert über Katarakte in die Tiefe. Felsen inmitten des Gewässers trotzen den Fluten seit Jahrtausenden. Sie sind unterspült und werden irgendwann einmal mitgerissen werden, morgen vielleicht oder im nächsten Jahrzehntausend. Sonnenlicht spiegelt sich auf der Wasseroberfläche.
Auf den Wiesen links und rechts des Flusses blühen Blumen. Sie leuchten gelb und weiß, ihre Kelche folgen dem Verlauf des Gestirns, sehnsüchtig, wie Liebende, die das Objekt ihrer Begierde niemals erreichen werden und dennoch niemals aufhören, es zu versuchen.
Trampelpfade führen vom Wasser hoch in die Hügel. Kakuta beobachtet aus luftiger Höhe, prägt sich jedes Detail ein. Er treibt dahin und streckt die Arme weit aus, um seinen Flug zu steuern. Um zu kreisen.
Die Trampelpfade werden zu ausgetretenen Wegen. Sie winden sich hoch zu Ruinen, die auf mehreren Hügelkuppen thronen. Keine ähnelt der anderen, alle scheinen in unterschiedlichen Phasen des Verfalls begriffen. Die Gebäude fügen sich völlig homogen in die Landschaft ein. Als wären sie keine von Menschen oder anderen Wesen geschaffene Bauwerke, sondern Teile der Natur selbst.
Alles ist ruhig, alles ist friedlich. Kakutas Herz ist leicht. Er möchte singen oder ein Waka rezitieren. Oder ein Sterbegedicht, das ihm plötzlich in den Kopf kommt: »Hechima sakite – tan no tsumarishi – hotoke kana.« Der Schwammkürbis blüht, und ich werde zu Buddha, dem der Auswurf den Atem nahm.
Woher kommt dieser plötzliche Gedanke an den Tod?
Kakuta fühlt sich tiefer gezogen, von einer Macht, der er nichts entgegenzusetzen hat. Sie drückt ihn zu
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