PR NEO 0045 – Mutanten in Not
»Stopp!«, rief Rhino. »Das ist sie!«
Nachdem Santino auf Normalgeschwindigkeit umgeschaltet hatte, sah man Ariane Colas durch den Gang hasten. Sie hielt eine Hand gegen den Mund gepresst, als müsse sie sich jeden Augenblick übergeben, stieß mit der anderen mühsam die Tür zur Damentoilette auf und verschwand darin.
»Die Intimbereiche werden nicht überwacht, nehme ich an«, sagte Rhino. Es war keine Frage. Kein Restaurant der Welt hätte den Skandal überlebt, wenn derlei Bespitzelung ruchbar geworden wäre.
Santino beschleunigte die Wiedergabe, bis Rhino ins Bild kam und kurz danach die Putzfrau sowie die Securities, die vor lauter Kraft und Beflissenheit kaum laufen konnten. »Zweiundsiebzig Sekunden«, sagte er nach einem Blick auf die Zeitleiste, »vom Notruf bis zu eurem Eingriff. Ziemlich lahm, wenn ihr mich fragt; das sollte schneller gehen. Darüber reden wir noch, Kameraden. Ihr habt den Raum gründlich durchsucht?«
»Jeden Winkel, Sir. Da war niemand.«
»Mit anderen Worten: Mercedes ... Ach, pfeif drauf, Ariane ging hinein und kam nicht wieder heraus«, sagte Rhino, der seine Befürchtungen lieber nicht bestätigt gesehen hätte. »Also wo steckt sie? Gibt es an der Decke Gitter zu Lüftungsschächten, in die sie geklettert sein könnte?«
»Sicher. Durch das ganze Haus zieht sich ein Netz von Geheimwegen«, blaffte Santino, triefend vor Sarkasmus. »Weil ja die ganze Welt ›Ocean's Eleven‹ und sämtliche Sequels gesehen hat, bloß wir hier nicht, wo jeder zweite Film der Serie gedreht worden ist!«
»Ich interpretiere Ihre Antwort als ein Nein.«
»Halten Sie mich für einen Trottel, Ugoljew? Rauchfänge oder Lüftungsschächte sind der billigste Trick in einem Buch, älter als die Bibel. Selbst der Weihnachtsmann kennt ihn. Hätten wir die Öffnungen nicht längst vollkommen unzugänglich gemacht, müssten wir jeden Tag hundert Idioten bergen, denen die Ventilatoren die Nasen oder sonst was abgesäbelt haben.«
»Leuchtet mir ein. Trotzdem. Wie erklären Sie sich das Verschwinden meiner Begleiterin?«
»Gar nicht.« Santino hieb auf die Armlehnen des Sessels und stand auf, wodurch die Haarstoppeln seines Quadratschädels nicht wesentlich an Höhe gewannen. »Unter uns, Bruder Karamasow, so etwas hasse ich wie die Pest. Die Privatsphäre der Gäste des Bellagio ist heilig, und mich lässt völlig kalt, was sie abseits der Kameras treiben. Aber ich will immer und jederzeit wissen können, wo sie sind.«
»Was machen wir, Sir?«
»Wir gehen zu Simon Wu. Obwohl er nicht sehr erfreut sein wird, dass wir ihn belästigen, während das Galadiner noch läuft. Aber ich denke, er wird Sie schneller identifizieren können als meine ach so tollen biometrischen Personenerkennungsprogramme. Sobald ich weiß, dass Sie nicht versuchen, hier eine besonders originelle Nummer abzuziehen, leite ich eine stille Großfahndung ein.«
Simon Wu gegenüberzustehen und ihm zu erklären, warum er sich unter falschem Namen ins Bellagio eingeschlichen hatte, verlangte Rhino einiges an Demut ab.
»Was hättest du an meiner Stelle gemacht?«, beendete er seine Beichte.
»Angerufen und gefragt?« Der Hongkong-Chinese nestelte an seinem dünnen, zu einem strengen Zopf geflochtenen Kinnbart. »Ehrlich gesagt hatte ich darauf gehofft, dass du dich rührst. Dich direkt anzusprechen wurde mir von der Hoteldirektion untersagt. Nicht zufällig habe ich dann den Nashorn-Eistee als Aperitif gewählt. Aber du hast kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Dabei war ich von Anfang an bereit, den Fund mit dir zu teilen. Was ich übrigens immer noch bin, sofern unsere Chefs sich einig werden.«
»Welchen Fund?«
»Eine in den Vorbergen des Kilimandscharo abgestürzte Fantanflunder, deren Lagerräume vor Besun übergingen, das meiste davon extraterrestrische Lebensmittel in einwandfreiem Zustand. Nun, über die chinesischen Besitzungen in Afrika und die Statthalter derselben Investoren in Vegas gelangten alle diese einzigartigen Rohstoffe zu mir.«
»Warum nicht ...?«
»Zu dir, in die Gobi, nach Terrania? Hast du schon einmal kurz mit dem Gedanken gespielt, dass euer Bürgermeister Bai Jun innerhalb dessen, was vom chinesischen Weltreich übrig geblieben ist, nicht nur Freunde hat?«
»Ich bin kein Politiker.«
»Ich auch nicht, Rhino. Wir sind Köche. Wir wollen Menschen oder sonstige Intelligenzwesen beglücken und nicht gegeneinander aufhetzen. Stimmst du mir zu?«
»Ja«, würgte Rhino beschämt
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